Fragen und Antworten zum Jahrestag von Pegida
Dresden (dpa) - Am 20. Oktober vergangenen Jahres gingen die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) in Dresden das erste Mal auf die Straße.
Damals mit gut 300 Anhängern, die über Facebook mobilisiert wurden. Binnen Wochen wuchsen die montäglichen Demos auf Zehntausende Teilnehmer an. Nach einer zwischenzeitlichen Beruhigung verschaffte die Flüchtlingsdebatte dem offen fremden- und islamfeindlichen Bündnis neuen Zulauf.
Ein Jahr Pegida - wie hat sich das Bündnis inzwischen entwickelt?
Pegida ist radikaler geworden. „Zwei Hauptthemen kristallisierten sich heraus, nämlich Asylfeindlichkeit und Islamfeindlichkeit“, sagt der Leiter der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Frank Richter. Die Radikalisierung vollzog sich mit der Spaltung der Pegida-Spitze im Januar, als die Hälfte des sogenannten Orga-Teams um die frühere Pegida-Frontfrau Kathrin Oertel nach Bekanntwerden ausländerfeindlicher Postings von Bündnisgründer Lutz Bachmann ausstieg. Die frühere Hamburger AfD-Politikerin Tatjana Festerling kam dazu und verschärfte den Ton, etwa indem sie Flüchtlinge als „angreifende Horden“ bezeichnete, die in Deutschland nur faul auf Feldbetten „herumlungern“ würden.
Regierungspolitiker werden von Pegida-Anhängern pauschal als „Volksverräter“ abgetan. „Bei Pegida kommt immer wieder jene Stimmung zum Ausdruck und wird dort wohl auch angeheizt, die sich bei Einzelnen dann in Gewalttaten gegen Flüchtlingsheime entlädt“, meint der Dresdner Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt. Auch das habe das Dresdner Bündnis berühmt gemacht. Pegida sei „inzwischen ein jedermann in Deutschland verständlicher Begriff der politischen Sprache, sozusagen eine Summenformel für alles politisch Schlechte“.
Was hat Pegida in dem Jahr seit der Gründung bewirkt?
„Pegida hat zunächst einmal das Land Sachsen deutlich unter Stress gesetzt und die Stadt Dresden gespalten“, sagt Politik-Professor Hans Vorländer von der TU Dresden. Es zeige sich, „dass Teile des hiesigen politischen Establishments große Probleme haben, damit umzugehen, weil es nicht nur eine Verunsicherung bei den Bürgern gibt, sondern anscheinend auch in der Politik“.
Dass Pegida auch über Sachsen hinaus wirkt, meint auch Patzelt. „Jetzt sieht man im ganzen Land, dass es nicht einfach nur eingebildete Sorgen von dummen Ostdeutschen waren.“ Die Kernanliegen von Pegida seien durch die tatsächliche Entwicklung „beglaubigt“ worden. „Und immer mehr Leute haben nun das Gefühl, dass unser Staat die Folgen seiner fehlerhaften Einwanderungspolitik nicht mehr im Griff hat.“
Kann Pegida die Stimmung nutzen? Wie wird sich die Bewegung entwickeln?
Patzelt hält die Pegida-Organisatoren für derart diskursunfähig, „dass sie völlig darin versagen, die auf der Straße entfaltete Wucht in Politik umzusetzen“. So gelinge es nicht, damit Punkte zu sammeln, dass eigene Forderungen durch die aktuelle Politik nun „eine nach der anderen erfüllt“ würden. „Im Grunde verraten Leute wie Bachmann oder Festerling durch die politische Sterilität ihrer Parolen den guten Willen sehr vieler Demonstranten.“ Wenn es aber nicht gelänge, „die halbwegs Vernünftigen wieder für die staatstragenden Parteien zu gewinnen, dann züchten wir eine vom Rest des politischen Systems abgekoppelte Protestbewegung heran“. Auch Vorländer warnt vor der Formierung einer rechtspopulistischen Strömung wie in Frankreich oder anderen europäischen Ländern - „also starken, fest gefügten rechtspopulistischen Bewegungen, die die etablierten Parteien erheblich unter Druck setzen“.
In anderen Städten hat Pegida keinen großen Erfolg. Warum Dresden?
Zunächst einmal sei es Zufall, dass Lutz Bachmann ausgerechnet in Dresden zugange war, meint Patzelt. „Damit aus dem anfänglichen kleinen Häufchen etwas Großes werden konnte, brauchte es eine Großstadt.“ Außerdem würden in Deutschland „Sorgen ob der Folgen von Einwanderung als eine konservative Obsession“ gelten. Hinzu komme, dass sich Pegida wohl nur in Ostdeutschland entwickeln konnte, da es dort vergleichsweise wenig Erfahrung mit Einwanderung gebe und nach 25 Jahren Einheit wohl auch wenig Lust auf weiteren gesellschaftlichen Wandel. „Wenn man nun auf die Karte blickt, wird man in Ostdeutschland außer Dresden keine andere Großstadt mit konservativer Grundströmung finden“, meint Patzelt.