Für Bulgaren und Rumänen gehen an Neujahr die Schranken hoch
Berlin (dpa) - Zum Jahreswechsel fallen für Bulgaren und Rumänen die letzten Job-Schranken in der EU: Dann öffnet sich der deutsche Arbeitsmarkt auch für sie. Eine Arbeitserlaubnis ist dann nicht mehr nötig, um nach Deutschland kommen zu können.
Noch ist unklar, wie viele das sein werden. Experten erwarten keine Völkerwanderung, wohl aber Zuzug im sechsstelligen Bereich.
Bulgarien und Rumänien sind seit 2007 EU-Mitglieder. Seitdem steigt in Deutschland kontinuierlich der Zuzug aus diesen Ländern. Im September arbeiteten schon 160 000 Bulgaren und Rumänen in Deutschland, 126 000 davon in sozialversicherten Jobs. Von 2014 an werden jährlich zwischen 100 000 und 180 000 Zuwanderer aus den beiden Ländern erwartet, schätzen die Forscher des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg.
Risiken sehen sie in der geringen Qualifikation der Zugewanderten aus den beiden Ländern. So haben nach einer gerade veröffentlichten IAB-Studie zwar 21 Prozent einen Hochschulabschluss und 33 Prozent eine Berufsausbildung, aber zugleich 46 Prozent keine Qualifikation. Rumänen und Bulgaren finden denn auch häufig Jobs nur im weniger attraktiven Dienstleistungssektor, in der Gastronomie zum Beispiel oder als Erntehelfer.
Die Arbeitslosenquoten der bislang zugewanderten Bulgaren und Rumänen liegen freilich durchweg unter jenen der anderen Ausländergruppen. Vor Ausbruch der Wirtschaftskrise zog es 80 Prozent der bulgarischen und rumänischen Auswanderer nach Spanien und Italien. Seit es dort bergab geht, wird Deutschland für sie attraktiver. Experten sprechen von einem „Umlenkungseffekt“.
DIW-Arbeitsmarktforscher Karl Brenke sagt zur IAB-Schätzung von 100 000 bis 180 000 Immigranten: „100 000 Zuwanderer sehe ich als Untergrenze an.“ Nicht genau abschätzbar sei der Umlenkungseffekt. „Der geplante gesetzliche Mindestlohn könnte helfen, einen durch Zuwanderung erzeugten Lohndruck abzuwenden.“
Deutschland ist Einwanderungsland nicht erst mit dem 1. Januar 2014. Die Zahl der Migranten stieg schon in den vergangenen zwei Jahren deutlich: Von 2011 auf 2012 um 381 000, von 2010 auf 2011 um 216 000. Von 2009 auf 2010 lag der Zuwachs laut Statistischem Bundesamt noch bei 43 000. Im vergangenen Jahr wanderten erstmals mehr Menschen nach Deutschland ein, als Migranten der zweiten Generation hierzulande geboren wurden.
Deutschland ist wegen seiner schrumpfenden einheimischen Bevölkerung auf Zuwanderung angewiesen. Arbeitnehmerfreizügigkeit sei dazu „ein wichtiger Beitrag“, heißt es beim Arbeitgeberverband BDA. Einen Grund zur Panikmache gebe es nicht: „Übertriebene Befürchtungen über massenhafte Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme hat es bereits bei der ersten Freizügigkeitsregelung für die acht mittel- und osteuropäische Mitgliedstaaten gegeben. „Nichts davon hat sich bewahrheitet.“ Allerdings hätten qualifizierte und dringend benötigte Fachkräfte damals einen Bogen um Deutschland gemacht. „Wir haben damals eine Chance vertan, das darf sich nicht wiederholen.“
Bulgarien und Rumänien sind die ärmsten Länder in der EU. Ihr Bruttoinlandsprodukt liegt unter der Hälfte des EU-Durchschnitts. Viele Menschen dort leiden unter prekären Verhältnissen, Angehörige der Roma etwa. Von einem Aufenthalt hierzulande versprechen sich viele ein besseres Leben. Derzeit wird vor den Schranken der Gerichte darüber gestritten, ob auch Armutszuwanderer Anspruch auf Sozialhilfe haben. Entscheiden muss nun der Europäische Gerichtshof.
Hartz-IV-Leistungen - also Sozialhilfe - beantragt haben bisher knapp 40 000 Menschen mit bulgarischem oder rumänischem Pass. Das entspricht einer Verdoppelung in zwei Jahren - um ein Massenphänomen handelt es sich nicht, auch wenn die IAB-Forscher mit einer weiteren Zunahme rechnen. Die Betroffenen dürften keineswegs zu den Armutsflüchtlingen gezählt werden, stellt DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach klar: „Von einer Armutszuwanderung in die Sozialsysteme kann keine Rede sein.“
Dennoch klagen Städte wie Berlin, Dortmund, Duisburg oder Mannheim über den Zuzug Chancenloser aus Osteuropa. „Die Situation in den besonders betroffenen Städten und Stadtteilen ist heute bereits schwierig. Bund, Länder und EU müssen deshalb im neuen Jahr spürbar dazu beitragen, Probleme durch Armutszuwanderung in unseren Städten zu bewältigen oder zu vermeiden“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Stephan Articus. An der Freizügigkeit für Arbeitnehmer will er aber „nicht rütteln“.
Im Dunstkreis der Zugewanderten registrieren die Behörden mehr Schwarzarbeit und (Schein)Gewerbeanmeldungen. Nicht nur aus Sicht des Deutschen Städtetages ließe sich Armutszuwanderung am besten dadurch vermeiden, dass die Verhältnisse in den Heimatländern der Betroffenen verbessert werden. Doch Förder-Milliarden aus dem Europäischen Sozialfonds werden kaum abgerufen - oder kommen wegen korrupter Strukturen vor Ort nicht an, kritisieren Experten wie der Grünen-Sozialexperte Markus Kurth.
Die Gewerkschaften sind skeptisch, wollen verhindern, dass mit der neuen Freiheit der Druck auf Arbeitsbedingungen und Löhne zunimmt. „Die Ausbeutung von mobilen Beschäftigten in Europa muss entschiedener bekämpft werden, mahnt DGB-Vorstand Buntenbach. Die Problemen in sozialen Brennpunkten rühren nach ihrer Einschätzung daher, „dass Integrationsmaßnahmen der Rotstift-Politik zum Opfer gefallen sind“. Das Förderprogramm „Soziale Stadt“ müsse daher wieder aufgebessert werden.
Bestrebungen in Deutschland und Großbritannien, den Zugang für arbeitslose Zuwanderer zu erschweren, haben zuletzt zu Verspannungen mit der EU-Kommission geführt. „Freizügigkeit ist ein Gemeingut und das steht nicht zur Debatte“, konterte EU-Justizkommissarin Viviane Redin. Die Regierungen seien für die Regelung ihrer nationalen Sozialsysteme allein zuständig: „Macht Eure Hausaufgaben“, erteilte sie Forderungen nach Änderungen des EU-Rechts eine rigide Absage.