Fußball-EM: Ronaldo vollendet Traum als Teamplayer
Saint-Denis (dpa) - Mit stolzgeschwellter Brust führte Cristiano Ronaldo die Polonaise zur portugiesischen Titel-Party an. Tanzend verschwand der verletzte, aber überglückliche Superstar mit seinem Team als Europameister kurz vor halb drei in die Pariser Nacht.
Am Ziel der Träume angekommen schmetterten sie beim Abgang aus dem Stade de France aber noch ein Lied in Richtung ihrer Kritiker: „Es ist egal, ob wir gut oder schlecht spielen - wichtig ist, dass wir den Pokal nach Portugal bringen.“
Selbst zwei Stunden nachdem er die so ersehnte erste EM-Trophäe mit einem befreienden Schrei in den Himmel stemmte, glitzerten Ronaldos Augen immer noch voller Freudentränen. „Das ist einer der schönsten Momente meiner Karriere“, schwärmte der 31-Jährige über das 1:0 gegen Frankreich nach Verlängerung. „Das ist ein einzigartiger Tag.“
Einzigartig - auch weil Ronaldo das portugiesische Sieger-Team mit den starken Neu-Bundesligaprofis Renato Sanches und Raphaël Guerreiro nach seinem Verletzungs-Drama als ruheloser Anpeitscher von der Seitenlinie zum Premierentitel trieb. „Wir sind die Könige von Europa sogar ohne den König der Welt“, titelte „A Bola“ (Montag).
Mit einer Manschette um das nach einem harten Einsteigen von Dimitri Payet lädierte linke Knie empfahl sich der designierte Weltfußballer 2016 zudem für den Titel des Trainer des Jahres. Die personifizierte Ich-AG des Weltfußballs vollendete seinen größten Triumph als Teamplayer.
„Fantastisch“ sei die Halbzeit-Ansprache Ronaldos gewesen, berichtete Rechtsverteidiger Cedric. „Er hat immer daran geglaubt, dass heute die Nacht der Nächte, unsere Nacht war“, lobte Trainer Fernando Santos den Optimismus seines Kapitäns, der nach 25 Minuten endgültig weinend auf einer Trage vom Platz musste. Und der am Ende überragende Abwehrchef Pepe berichtete strahlend: „Wir haben uns geschworen, für ihn zu gewinnen, und wir haben für ihn gewonnen.“
Den funkelnden Silberpokal wollte Ronaldo, der Medienberichten zufolge mit einer Innenbanddehnung wenige Wochen ausfällt, gar nicht mehr hergeben. Immer wieder küsste er die Trophäe und posierte für die Fotografen, balancierte den Pokal sogar kurz auf seinem Kopf. Natürlich präsentierte Ronaldo wieder einmal als erster seinen muskulösen Oberkörper ohne Trikot. Ansonsten freute er sich aber unverstellt wie ein kleines Kind, rüttelte seinen Trainer Fernando Santos wild durch, warf strahlend Handküsse ins Publikum und schüttelte immer wieder fassungslos den Kopf.
Dass er durch seine Verletzung nicht mehr mit einem zehnten EM-Treffer die alleinige Führung in der ewigen Torschützenliste vor Michel Platini übernehmen konnte, schmälerte die Freude da nicht. „Es waren viele Jahre voller Opfer, niemand hat an uns geglaubt“, sagte Ronaldo genervt von den Vorwürfen der Nörgler des portugiesischen Minimalistenstils.
In der Stunde des größten Triumphs erinnerte der Erfolgsgetriebene an den Moment der bittersten Schmach - das verlorene Endspiel gegen Griechenland bei der Heim-EM vor zwölf Jahren. „Ich habe darauf so lange gewartet, seit 2004. Ich habe Gott um eine weitere Chance gebeten, weil ich glaube, dass die Portugiesen das verdienen.“
Zehntausende Menschen feierten im krisengebeutelten Portugal auf den Straßen - „episch“, titelte „Record“. Und auch Coach Santos hofft darauf, dass die Selecção nun nach spanischem Vorbild eine Ära einleitet. „Wenn wir weiter so bescheiden auftreten, können wir große Dinge erreichen“, sagte der 61-Jährige.
Passend zur Herz-Schmerz-Story prophezeite Ronaldo ausgerechnet dem Siegtorschützen Eder, dass er zum entscheidenden Mann für Portugal aufsteigen werde. „Er hat mir die Stärke und diese Energie gegeben - das war unerlässlich“, berichtete der in Guinea-Bissau geborene Stürmer.
Ausgerechnet Ederzito Antonio Macedo Lopes, der in England verschmäht und bei der WM 2014 gescholten wurde. Der zuvor gerade einmal drei Tore für Portugal erzielt hatte, davon keines in einem Pflichtspiel. „Eder hat zu mir bei der Einwechslung gesagt: Trainer, ich werde treffen“, berichtete Coach Santos. „Und das hässliche Entlein ist reingekommen und hat getroffen. Jetzt ist er ein wunderschöner Schwan.“