Am Polcevera-Viadukt Genua trauert: „Es hätte jeden treffen können“
Genua (dpa) - Die Stimmung auf dem großen Parkplatz eines Möbelhauses im italienischen Genua ist bedrückend. Immer wieder fahren Autos und Motorroller vor, auch mitten in der Nacht stehen Leute am Zaun.
Von hier aus sieht man die Reste des Polcevera-Viadukts rechts und links - und die riesigen Trümmer in der Mitte. Näher kommt man nicht heran, die Polizei hat den Ort des verheerenden Unglücks weiträumig abgesperrt. Die meisten Menschen blicken fassungslos in Richtung der Unglücksstelle. Andere schauen sich immer wieder auf ihren Handys Videos und Bilder der Katastrophe an.
Ein junger Mann namens Ismael zeigt Journalisten ein Video, das er selbst am Morgen von der gerade eingestürzten Brücke gedreht hat. „Ich habe den Einsturz gesehen“, wiederholt er immer wieder. Wie die meisten hier blickt auch er - meist schweigend und kopfschüttelnd - zu den Trümmern.
Von seinem Schlafzimmer aus habe er freien Blick auf das Viadukt gehabt - bis es mit einem lauten Knall in sich zusammen gefallen sei. „Mir war ganz schön bange, als das alles passiert ist.“ Auf seinem Handy zeigt er, wie das Viadukt vor wenigen Tagen ausgesehen hat.
Es sind Szenen wie aus einem Katastrophenfilm, die sich am Dienstagmittag in der italienischen Hafenstadt Genua abspielten. Während eines schweren Unwetters war das Polcevera-Viadukt - auch Morandi-Brücke genannt - auf der Autobahn A10 in mehr als 40 Metern Höhe auf einem etwa 100 Meter langen Stück eingestürzt. Um die 30 Fahrzeuge waren zu der Zeit auf der Brücke unterwegs: Autos wurden in die Tiefe gerissen, Lastwagen stürzten in den Fluss Polcevera. Über den Tag stieg die Zahl der Toten stetig.
Nun, in der ersten Nacht nach dem erschütternden Unglück, dominiert Ruhe. Geredet wird wenig - und wenn, dann geht es oft um die unzähligen Fahrten, die hier jeder schon über diese Brücke unternommen hat. Er sei noch am Morgen darüber gefahren, wie jeden Tag, auf dem Weg zur Arbeit, sagt ein älterer Mann. Eine Stunde später sei sie eingestürzt. Er schüttelt den Kopf. „Das ist unglaublich“.
„Ich bin immer wieder über die Brücke gefahren, für alles mögliche, um meine Familie zu sehen, um zur Arbeit zu fahren“, erzählt der 22 Jahre alte Dario auf dem Parkplatz. „Alle Genuesen sind über die Brücke gefahren. Es hätte jeden treffen können.“
In der Ferne sind Baggergeräusche zu hören, die Einsatzkräfte suchen in der Nacht weiter in den Trümmern nach Überlebenden. Immer wieder kommen einige von ihnen auf ihrem Rückweg von der Unglücksstelle am Parkplatz vorbei, die Schutzhelme noch auf dem Kopf, die Erschöpfung ins Gesicht geschrieben. Die Suche ist noch längst nicht beendet.