Analyse Das Sturkopf-Dilemma: Erdogan und die USA

Istanbul (dpa) - Der Staatspräsident provoziert und provoziert. Sieben Reden hat Recep Tayyip Erdogan zwischen Freitagmorgen und Montagnachmittag gehalten und in jeder wurde der Ton gegen die USA schärfer.

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In der ersten ging es noch um „Kampagnen“ gegen die Türkei. In der vierten drohte er schon, die Hände abzuhacken von jenen, die diesen „Wirtschaftskrieg“ gegen die Türkei führten. In der letzten Rede am Montagnachmittag nannte er die USA den „Kraftmeier des globalen System“ und sagte, die Türkei sei zu einem Krieg bereit. Diese Rede hielt er ausgerechnet vor Botschaftern aus aller Welt. Fernsehbilder zeigten ein Meer steinerner Gesichter.

Die USA und die Türkei streiten sich um zwei Geistliche, und die Welt macht sich zunehmend Sorgen. Die Türkei will, dass die USA den dort lebenden türkischen Prediger Fethullah Gülen ausliefern. Die Regierung wirft Gülen vor, hinter dem Putschversuch von 2016 zu stecken.

Die USA fordern wiederum die Freilassung des US-Pastors Andrew Brunson, den die Türkei wegen Terrorvorwürfen festhält. Nach wochenlanger Eskalation der Sache twitterte Trump dann am Freitag, dass er einige Strafzölle gegen die Türkei verdoppeln werde. Die Lira, die seit Monaten aus vielen Gründen an Wert verliert, sackte daraufhin in mehreren Wellen auf historische Tiefstände ab.

Der Streit von zwei Regierungen ist zu einem Streit zwischen ihren Präsidenten geworden - beide machtgewohnt, beide rhetorisch gerne auf der krassen Seite, beide mit sturen Köpfen und einem leicht entzündlichen Temperament ausgestattet. Diese doppelte Reizbarkeit macht es schwer zu sagen, wo die Krise hinführt.

So wie sich allerdings Erdogans sieben Reden in zweieinhalb Tagen angehört haben, könnte man meinen, er wolle, dass beides zerbricht: die türkische Wirtschaft an der wachsenden Verunsicherung der Finanzmärkte, reflektiert im Verfall der Lira auf immer neue Tiefstände. Und das Verhältnis zu den USA, immerhin wichtiger Nato-Partner.

Der türkische Wirtschaftsexperte Mustafa Sonmez sagt, eine Erklärung für Erdogans Wüten gegen die USA sei, dass er verbergen wolle, wie schlecht es der heimischen Wirtschaft gehe. Im Land hat die Inflation mehr als 15 Prozent erreicht. Es sei ein Problem, das Erdogan selber geschaffen habe - aber nun habe er die Chance, es als Resultat eines Angriffs von außen dazustellen.

Ilter Turan, Professor für internationale Beziehungen an der Bilgi-Universität in Istanbul, verweist auf Erdogans Weltsicht. Man könne sie Dritt-Welt-Denken nennen. Erdogan sei überzeugt, dass eine alternative Weltordnung gebraucht würde, um die dominanten Weltmächte unter Kontrolle zu bringen. Die USA gewännen aus seiner Sicht zu viel Macht, weil der Dollar als Welthandelswährung genutzt würde.

Außerdem stünden in der Türkei im Frühjahr lokale Wahlen an, und Erdogan sei besorgt über die Auswirkungen der Lira-Krise auf seine Basis. Die Regierung sei sich wohl bewusst, dass es zu spät sei, die Krise abzuwenden. „Deshalb hat Erdogan keine andere Wahl als seine Wähler zu mobilisieren für etwas, das er nationale Solidarität gegen einen Wirtschaftskrieg nennt.“

Die Sorge vor einer Erosion seiner Unterstützer ist nicht unbegründet. Erdogan hatte die Präsidentschaftswahlen im Juni mit nur 52,6 Prozent gewonnen. Das Land ist tief gespalten. Schon im Wahlkampf war Wirtschaft für die Menschen das wichtigste Thema. Die Zwiebelpreise sind dieses Jahr teils um über 200 Prozent gestiegen.

Nun würde Erdogan die Verschärfung der Krise nicht unmittelbar gefährlich werden - er hat sich mit dem neuen Präsidialsystem, das ihm viel Macht einräumt, fest in den Sattel gesetzt. Aber mehr Widerspruch und Proteste gegen ihn könnte nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre - von Gezi-Protesten bis zum Putschversuch - zu einer weiteren Beschneidung von Freiheiten führen.

Am Montag gab es erste Anzeichen: Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu und andere Medien berichteten, dass nun Staatsanwälte und Ermittler gegen Menschen vorgingen, die in sozialen Medien „falsche Berichte“ und „Spekulationen“ über die Lage verbreiteten.

Die kompromisslose Rhetorik des Präsidenten müsse aber nicht in einen Bruch mit den USA oder eine Staatspleite münden, sagt Ilter Turan. Der Streit mit Deutschland über den ein Jahr lang inhaftierten „Welt“-Reporter Deniz Yücel sei ein Beispiel. Erdogan hatte Yücel einen Terroristen genannt. Dennoch kam Yücel in diesem Jahr frei.

Erdogan und Trump könnten einfach den Schlagabtausch noch ein wenig weitertreiben, um mehr für ihre jeweilige Sache herauszuholen, sagte Turan. Ein Restrisiko, dass die beiden die Beziehungen zum Punkt des Zerbrechens brächten, bleibe trotzdem. Das würde in Ankara zu einem nicht mehr umkehrbaren Wechsel der Verbündeten führen.

In seiner Rede vor den Botschaftern in Ankara hat der Staatspräsident es seinen Zuhörern aus dem Westen schon unter die Nase gerieben: Da rasselte er eine lange Liste neuer Freunde und Allianzen herunter. Russland, die Golfregion und China waren darunter.