Fragen und Antworten Kindergeld: Deutsche Aufregung und europäische Realität
Berlin (dpa) - Immer mehr Familien bekommen für ihre im Ausland lebenden Kinder monatlich Geld aus der deutschen Familienkasse. Gleichzeitig beklagt eine Reihe deutscher Städte Probleme mit Betrugsfällen beim Kindergeld.
Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, aber in der Debatte wird das nicht immer auseinander gehalten. Hier einige Zahlen und Fakten:
Wer bekommt überhaupt Kindergeld?
Eltern mit deutscher oder einer EU-Staatsangehörigkeit erhalten, wenn sie in Deutschland leben, für jedes minderjährige Kind in ihrem Haushalt Kindergeld - unabhängig davon, ob sie arbeiten oder nicht. Bürger der EU, des Europäischen Wirtschaftsraums und der Schweiz oder deren Kinder können aber auch für die Zuwendung in Frage kommen, wenn sie nicht in Deutschland wohnen. Voraussetzung ist dann aber eine Arbeit oder selbstständige Tätigkeit hierzulande - wie etwa bei Pendlern aus Nachbarstaaten. Andere Ausländer erhalten in der Regel die Leistung nur dann, wenn sie etwa eine Arbeitsstelle, genügend eigene finanzielle Mittel zum Lebensunterhalt oder die Anerkennung als Flüchtling oder Asylbewerber vorweisen können.
Wie viele Kinder beziehen Kindergeld in oder aus Deutschland?
Ende Juni waren es 15,29 Millionen. 12,27 Millionen dieser Kinder haben die deutsche Staatsbürgerschaft, rund drei Millionen sind Ausländer. Auch von ihnen leben die allermeisten in Deutschland. 268 336 Kinder beziehen im europäischen Ausland Kindergeld vom deutschen Staat, weil ihre Eltern in Deutschland arbeiten. 2017 wurde Kindergeld in Höhe von 343 Millionen Euro auf ausländische Konten überwiesen, weniger als ein Prozent der Zahlungen ins Inland.
Woher stammen die meisten ausländischen Kinder?
Unter den EU-Ausländern, die Kindergeld aus oder in Deutschland bekommen, liegt Polen mit 277.551 Empfängern vorn, aus Rumänien sind es 138.217. Den Spitzenplatz nehmen Kinder türkischer Herkunft ein - mit 587.393 Empfängern. 2017 flossen insgesamt 35,9 Milliarden Euro Kindergeld, davon 7,2 Milliarden Euro an Kinder ausländischer Herkunft.
Wie viel Kindergeld wird überhaupt gezahlt?
In Deutschland gibt es derzeit für das erste und zweite Kind jeweils 194 Euro im Monat. Für das dritte sind es 200 Euro, ab dem vierten Kind 225 Euro. Zum Vergleich: In Bulgarien gibt es rund 20, in Rumänien 18 bis 43 Euro im Monat.
Ist die Zahl ausländischer Empfänger angestiegen?
Ja. Seit Ende 2017 ist die Zahl der Kinder, die außerhalb Deutschlands in der EU oder im Europäischen Wirtschaftsraum leben und Kindergeld aus Deutschland bekommen, um 10,4 Prozent gewachsen. Auch die Zahl der Empfänger im Inland steigt. Dies hängt zum einen mit der insgesamt steigenden Beschäftigung zusammen, zum anderen mit der Freizügigkeit innerhalb der EU. Auch werden immer mehr Fach- und Pflegekräfte aus anderen Ländern gebraucht. Und auch der Brexit, also der geplante EU-Austritt Großbritanniens, führt zu einer Verlagerung von Arbeitskräften Richtung Deutschland. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus Osteuropa ist von 2015 bis 2017 um 295.000 auf knapp 1,2 Millionen gestiegen.
Warum dann die Aufregung?
Weil es gerade aus Rumänien und Bulgarien nach Meinung mehrerer Oberbürgermeister eine verstärkte Migration gibt, um Kindergeld zu kassieren. Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link (SPD) sieht Schlepper am Werk, die Menschen in schrottreifen Wohnungen unterbringen, ihnen eine Scheinbeschäftigung verschaffen und oft einen Teil der Kindergelder einbehalten. Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats der Sinti und Roma, warnt vor Stimmungsmache und betont: „Die betroffenen Familien sind die Opfer von kriminellen Banden, deren Hintermänner in der Regel deutsche Staatsbürger sind.“
Wie groß ist das Ausmaß des Betrugs?
Die Familienkasse betont, es gebe keinen flächendeckenden Betrug. Aber immerhin will sie jetzt intensiver gegen Betrüger vorgehen. Stichproben ergaben bisher einzelne Missbrauchsfälle vor allem in Nordrhein-Westfalen. Bundesweite Zahlen zum Missbrauch beim Kindergeld gibt es bisher aber nicht. Auf eine AfD-Anfrage antwortete die Bundesregierung im März: „Die gewünschten Zahlen können nicht genannt werden, da eine Statistik über Missbrauchsfälle beim Kindergeld nicht existiert.“
Was will die Bundesregierung tun?
Neben mehr Datenabgleich und dem Aufspüren von Betrug etwa durch gefälschte Geburtsurkunden für Kinder, die gar nicht existieren, will die Koalition von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) seit Jahren die steigenden Kosten dämpfen. Und zwar durch eine sogenannte Indexierung, also eine Zahlung, die sich an den Lebenshaltungskosten in dem jeweiligen Land orientiert. Österreich plant das in einem nationalen Alleingang, die Neuregelung soll 2019 in Kraft treten, könnte allerdings schnell vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) landen.
Wie ist die Lage auf europäischer Ebene ?
Die EU-Kommission sieht eine Indexierung als Verstoß gegen das EU-weite Diskriminierungsverbot. Allerdings sah das im Februar 2016 noch anders aus: Auch als Zugeständnis an die Briten, die damals noch nicht über den Brexit abgestimmt hatten, beschloss ein EU-Gipfel in Brüssel Einschränkungen bei Sozialleistungen für EU-Ausländer. Merkel sagte damals: „Gerade die Frage des Sozialmissbrauchs beschäftigt uns in Deutschland auch.“ Das gelte etwa für die Regelung, das Kindergeld an die Lebenshaltungskosten in den Ländern anzupassen, in denen die Kinder tatsächlich leben. „Auch Deutschland kann davon Gebrauch machen, kann ich mir vorstellen.“
Warum ist dann nichts passiert?
Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren versucht, die Kindergeldindexierung für Ausländer zum Teil eines EU-Gesetzespakets zu machen, das die Koordinierung der Sozialsysteme verbessern soll. Ihr gelang es allerdings nicht, eine ausreichend große Mehrheit an Unterstützern zu finden. Im Juni 2018 wurden deswegen die Beratungen im Rat der Mitgliedstaaten vorläufig abgeschlossen. Nun soll mit dem EU-Parlament über das Gesetzespaket zur „Modernisierung der Sozialsystemkoordinierung“ verhandelt werden, eine Indexierung ist dabei aber kein Thema. Die Mehrheit der Abgeordneten aus Süd-, Mittel-, und Osteuropa ist nach Angaben aus Parlamentskreisen dagegen.