Hintergrund: „Fukushima ist nicht Tschernobyl“

Moskau (dpa) - Gleich nach den ersten Explosionen im japanischen Atomkraftwerk Fukushima Eins machte das Schlagwort „Tschernobyl 2“ die Runde.

Inzwischen hob Japan die Einschätzung der Auswirkungen auf die höchste Stufe 7 an, die bisher nur bei der Reaktorkatastrophe 1986 in der damaligen Sowjetunion erreicht wurde. Doch wirklich vergleichbar sind beide Katastrophen nicht, sagen Experten.

EXPLOSION: Beim Super-GAU von Tschernobyl explodierte der Unglücksreaktor 4 während des normalen Betriebs. Ein gewaltiger Feuerball schleuderte radioaktiv verseuchte Partikel kilometerweit in die Atmosphäre. Hingegen war das Atomkraftwerk Fukushima Eins zum Zeitpunkt der Explosionen bereits abgeschaltet. Das geschieht bei schweren Erdstößen wie am 11. März in Japan automatisch und soll die Gefahr von Störfällen reduzieren. In Fukushima sind in gleich drei Reaktorblöcken Kern und Brennstäbe schwer beschädigt. In Tschernobyl gab es damals keinen inneren Sicherheitsbehälter (das sogenannte Containment) rund um die Brennkammer.

REAKTION: Die Sowjetführung schickte Hunderttausende Freiwillige - sogenannte Liquidatoren - in die Unglückszone, um bei den Aufräumarbeiten zu helfen. Der havarierte Reaktor erhielt schon bald einen ersten „Sarkophag“, einen Mantel aus Beton. In Fukushima ist lediglich ein kleiner Trupp Arbeiter am Werk. Fieberhaft kämpfen sie gegen immer wiederkehrende Lecks und Probleme mit der Kühlung und pumpen radioaktiv verseuchtes Wasser ins Meer.

MASSNAHMEN: Nach dem Unfall in Tschernobyl schwieg die Sowjetführung tagelang. Erst nachdem in Skandinavien auffällige Werte gemessen wurden, räumte Moskau den GAU ein. Allerdings hatten auch die Verantwortlichen falsche Informationen übermittelt. So hieß es stundenlang, der explodierte Reaktor sei intakt geblieben - dabei waren die verstrahlten Trümmer nicht zu übersehen. Die Anwohner etwa im nahegelegenen Pripjat - heute eine Geisterstadt - wurden erst nach Tagen in Sicherheit gebracht. Die Sowjetführung habe aber bei aller Kritik durchaus auch rasch gehandelt, sagen Experten von Greenpeace. So sei schon bald ein 30 Kilometer großer Evakuierungsradius angeordnet worden. Im Fall von Fukushima streiten Experten hingegen um die Größe der Sperrzone. Die Regierung in Tokio ordnete am Montag einzelne Evakuierungen außerhalb der bisherigen 20-Kilometer-Zone an.

FOLGEN: Die Explosion in Tschernobyl schleuderte radioaktive Partikel weit in die Höhe - der Wind verbreitete sie dann über tausende Kilometer. Experten seien sich einig, dass das in Fukushima nicht passieren werde, sagt Mathias Edler von Greenpeace der Nachrichtenagentur dpa. „Das hängt damit zusammen, dass es in Tschernobyl ein graphitmoderierter Reaktor war.“ Mit diesem Material statt wie sonst mit Wasser sollten schnelle Neutronen verlangsamt und die Kettenreaktion erhalten werden. „Graphit ist eine Art Kohle, es ist zu tagelangen Bränden gekommen“, erklärt Edler.

AUSBLICK: „Im schlimmsten Szenario würde eine Schadstoffwolke von Fukushima in eine Höhe von maximal 500 Meter steigen“, sagt der oberste Wissenschaftsberater der britischen Regierung, Professor John Beddington. „Daher ginge die Radioaktivität recht nahe am Reaktor herunter.“ Die Folgen wären dennoch katastrophal. Das größte langfristige Problem in Japan ist derzeit die radioaktive Verseuchung des Pazifik. In der Ukraine und Weißrußland sind auch 25 Jahre nach dem GAU von Tschernobyl weite Landstriche schwer verseucht - und werden es auf lange Zeit sein. Radioaktive Stoffe wie Plutonium halten sich oft mehrere tausend Jahre. Problematisch ist nach Ansicht von Experten vor allem die extrem hohe Bevölkerungsdichte in Japan.