Hintergrund: Mehr Macht für den Bundestag
Berlin (dpa) - Karlsruhe hat gesprochen - und in Berlin haben die Politiker genau zugehört. Eine Übersicht von Fragen, die sich nun rund um das Euro-Urteil der Verfassungsrichter ergeben:
Über was hat Karlsruhe eigentlich entschieden?
Die Richter mussten sich mit dem ersten Hilfspaket für Griechenland vom Mai 2010 und dem parallel aufgespannten Euro-Rettungsschirm befassen. Mehrere Ökonomen und der streitbare CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler verklagten die Regierung, weil sie fürchteten, dass die Bürgschaften von bis zu 148 Milliarden Euro Deutschland überfordern und die Rechte des Bundestages aushöhlen. Ein Professor warnte sogar, Europa steuere auf eine „Sowjetunion light“ zu. Die Klagen wurden aber abgewiesen.
Wie reagieren die Börsen?
Der zuletzt dramatisch abgestürzte Dax legte zeitweise um fast drei Prozent zu. Auch gute US-Zahlen und ein starker Industrie-Auftragseingang stützten. Die Lage an den Finanzmärkten bleibt aber fragil.
Welche Konsequenzen hat das Urteil für die Berliner Euro-Retter?
Kanzlerin Angela Merkel sieht sich in ihrem Krisenmanagement bestätigt. Die Vorhaltungen aus Karlsruhe, dass der Bundestag stärker eingebunden werden muss, kommen für Schwarz-Gelb nicht überraschend. Im Gesetz für den erweiterten Euro-Rettungsschirm EFSF, das Ende des Monats zur Abstimmung steht, soll es ein neues Verfahren geben, damit die Abgeordneten bei neuen Milliardenhilfen für marode Euro-Länder mehr mitreden können.
Wird es für Merkel jetzt einfacher, die Kritiker in den eigenen Reihen zu besänftigen?
Nicht unbedingt. Das Urteil ist allenfalls ein Punktsieg für Merkel & Co. Der Zick-Zack-Kurs der Regierungen in Griechenland und Italien zeigt, dass die Euro-Stabilisierung auf wackeligen Füßen steht. Auch der Wunsch Finnlands nach Extra-Sicherheiten ist ungeklärt. Das ist Wasser auf die Mühlen der Kritiker. Mit einer für ihre Verhältnisse leidenschaftlichen Rede im Bundestag hat Merkel gezeigt, dass ihr der Ernst der Lage bewusst ist. Viele CDU-Leute vermissten in den vergangenen Monaten bei ihrer Chefin ein nötiges Maß an Europa-Pathos.
Wie viele Abgeordnete muss Merkel noch überzeugen?
Anfang der Woche bekam sie einen Denkzettel verpasst, als 25 Parlamentarier von Union und FDP bei einer Euro-Abstimmung in den Fraktionen nicht mitzogen. Sie haben angesichts von bald 250 Milliarden Euro Risiken für die Steuerzahler mächtig Bauchschmerzen und könnten nun noch selbstbewusster auftreten. Schließlich haben die Richter klar gemacht, dass es keinen Blankoscheck für die Regierung gibt.
Könnte die Euro-Schuldenkrise Schwarz-Gelb hinwegfegen?
Darauf hofft die Opposition. Merkel aber hat vorgesorgt, damit sie bei einem schwachen Abstimmungsergebnis zum Rettungsschirm EFSF nicht zu arg beschädigt wird. Die symbolisch wichtige Kanzlermehrheit von 19 Stimmen sei gar nicht das Ziel, verkündet die CDU. Eine einfache Mehrheit tue es auch. SPD, Grüne und Linke würden dies Merkel aber kaum durchgehen lassen. Sie sagen, ohne Kanzlermehrheit sei Merkels Politik quasi gescheitert. Mann kann aber erwarten, dass die Fraktionschefs von Union und FDP bis Ende September alles versuchen werden, Kritiker auf Linie zu bringen.
Wie soll der Einfluss des Bundestags beim EFSF gestärkt werden?
Möglich ist ein Stufenmodell. Das heißt, Zustimmung und Information hängen von der Bedeutung der jeweiligen Hilfe ab. Demnach müsste die Regierung immer dann ein Bundestags-Votum im Plenum einholen, wenn Grundsätzliches ansteht. Das könnten zusätzliche Befugnisse, weitere Finanzspritzen oder neue Länderhilfen sein. Ansonsten ist der Haushaltsausschuss am Zug.
Sind Eurobonds mit dem Urteil vom Tisch?
Union und FDP sehen das so. Deutschland dürfe bei einer Haftungsgemeinschaft nicht mitmachen, interpretieren Koalitionsexperten die Urteilsbegründung. FDP-Haushälter Otto Fricke meinte: „SPD und Grünen ist nun amtlich ins Stammbuch geschrieben worden, dass ihre Pläne, mittels einer unbegrenzten Vergemeinschaftung von Staatsschulden eine Eurostabilisierung zu bewerkstelligen, verfassungswidrig sind.“ Auch CSU-Chef Horst Seehofer hält Eurobonds endgültig für erledigt.
Berührt Karlsruhe den langfristigen Euro-Schirm ESM?
Hier könnte neben dem Grundproblem der gigantischen Verschuldung einzelner Euro-Staaten eine Achillesferse der dauerhaften Euro-Stabilisierung liegen. Der ESM soll Mitte 2013 den aktuellen Euro-Schirm EFSF ablösen. Deutschland muss dafür erstmals nicht mehr nur bürgen, sondern 22 Milliarden Euro Bares zücken. SPD-Experte Carsten Schneider warnt, das Gericht habe bei Euro-Paketen deren Befristung betont - der ESM aber soll als europäische Finanzfeuerwehr unbefristet eingesetzt werden. Sowieso ist zu erwarten, dass es in Karlsruhe neue Klagen gegen den ESM geben wird.