Hintergrund: Warum Afghanistan nicht der Irak ist
Kabul (dpa) - Afghanistan wird oft in einem Atemzug mit dem Irak genannt. Dabei ist die Lage in den beiden Ländern derzeit nicht vergleichbar.
Afghanistan steht zwar vor gigantischen Problemen - ist aber anders als der Irak (noch) kein gescheiterter Staat. Auch die Ausgangsvoraussetzungen sind unterschiedlich:
DIE RELIGION: Anders als im Irak spielt sich der Konflikt in Afghanistan nicht zwischen Sunniten und Schiiten ab. Die (sunnitischen) afghanischen Taliban bekämpfen nicht die schiitische Minderheit, sondern die Nato-Truppen und die Regierung des sunnitischen Präsidenten Hamid Karsai. Die Glaubensrichtung spielt in Afghanistan eine geringere Rolle als die ethnische Zugehörigkeit - also ob man beispielsweise der paschtunischen oder der tadschikischen Bevölkerungsgruppe angehört.
DIE EXTREMISTEN: Die Gruppe „Islamischer Staat im Irak und Syrien“ (Isis) kämpft für einen arabischen Gottesstaat vom Irak bis zum Mittelmeer. Taliban-Chef Mullah Mohammad Omar hat in den vergangenen Jahren dagegen immer wieder erklärt, seiner Gruppe gehe es um islamische Herrschaft nur in Afghanistan und um die Vertreibung der ausländischen Truppen aus dem Land. Für den (unwahrscheinlichen) Fall einer erneuten Machtübernahme wollen die Taliban nach Mullah Omars Worten friedliche Beziehungen auch zu westlichen Staaten unterhalten. Die Taliban sehen sich nicht als internationale Dschihadisten, sonders als legitime Widerstandskämpfer gegen Besatzer in ihrer Heimat.
DIE AUSLÄNDISCHEN TRUPPEN: Im Irak und in Afghanistan erzwangen die USA mit militärischer Gewalt Regimewechsel. Während spätestens jetzt der Beweis erbracht ist, dass der Einsatz im Irak erfolglos war, gibt es in Afghanistan noch Hoffnung. Aus dem Irak zogen sich die US-Truppen 2011 überhastet zurück, nachdem die Regierung in Bagdad den Soldaten keine Immunität mehr gewährte. In Afghanistan haben beide Kandidaten für das Präsidentenamt zugesagt, ein entsprechendes Abkommen mit den USA zu unterzeichnen. Dann bleiben Nato-Soldaten voraussichtlich noch zweieinhalb Jahre im Land.
DIE EINHEIMISCHEN SICHERHEITSKRÄFTE: Während die irakischen Sicherheitskräfte von den zahlenmäßig unterlegenen Isis-Extremisten in die Flucht geschlagen wurden, haben sich afghanische Armee und Polizei im Kampf gegen die Taliban weitgehend bewährt. „Die afghanischen Sicherheitskräfte haben zwar erhebliche Probleme, zeigen aber einen passablen Zusammenhalt und hauen eben nicht sofort ab“, sagt Nils Wörmer von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kabul. Ändern könnte sich das, sollte ihre internationale Finanzierung eines Tages ausbleiben. Sie ist den Afghanen aber noch bis 2024 zugesagt.
DIE STABILITÄT: Zwar gehört Afghanistan wie der Irak zu den gefährlichsten Ländern der Welt. Dass die Menschen in Afghanistan aber noch nicht resigniert haben, darauf deutet die hohe Wahlbeteiligung bei der Präsidentenwahl hin: Trotz Todesdrohungen der Taliban lag sie in der ersten Wahlrunde bei 55 Prozent. Und während der Irak auseinanderzubrechen droht, bereitet sich Afghanistan nach der Stichwahl für das Präsidentenamt auf die erste demokratische Machtübergabe in der Geschichte des Landes vor.