Humanitäre Katastrophe: Millionen Syrer in Not
Istanbul/Beirut (dpa) - Der Syrienkonflikt hat zu einer humanitären Katastrophe in der ganzen Region geführt. Sechs Millionen Menschen sind auf der Flucht. Sie leben in Syrien und in den Nachbarländern unter schwierigsten Bedingungen.
Die internationalen Hilfen reichen längst nicht aus.
Im Libanon, 20 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt, versuchen Helfer in einem notdürftig eingerichteten Zeltlager, die immer zahlreicher werdenden Flüchtlinge zu versorgen. Allein in der vergangenen Woche kamen 15 000 Syrer auf der Flucht vor Bürgerkrieg und einem drohenden Militärschlag ins Nachbarland. Und der Strom der Hilfesuchenden reißt nicht ab. Viele landen in Al-Mardsch, einem Camp mit 41 großen Zelten und 22 Wasch- und Toilettenanlagen. Ein bestialischer Gestank umgibt das Lager, die provisorischen Unterkünfte reichen für so viele Menschen längst nicht aus.
Mitarbeiter des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) kommen mit der Registrierung der Flüchtlinge kaum nach. Eingereiht in einer Warteschlange steht Umm Imad. Sie warte schon seit fünf Uhr morgens in der sengenden Sonne, sagt sie. Noch immer sind zehn Menschen vor ihr dran. „So will uns Präsident Baschar al-Assad sehen - nach Essen und Wasser bettelnd“, klagt sie.
Auch Fatima ist betrübt: „Ich bin wegen der heftigen Bombardierungen aus dem Umland von Damaskus geflüchtet.“ Nun wünsche sie sich, sie wäre dort geblieben, „anstatt um Unterkunft und Essen betteln zu müssen“. Das Flüchtlingslager Al-Mardsch soll die Menschen nach dem Willen der libanesischen Behörden nur vorübergehend beherbergen. Die Lage dort dürfte sich daher kaum verbessern.
Der Libanon ist ein kleines Land mit vielen eigenen Problemen. Die Regierung hat kein Interesse an Flüchtlingslagern, die sich - wie im Fall der Palästinenser - über Jahrzehnte hinweg zu dicht besiedelten Slums entwickeln könnten. Im Syrienkonflikt trägt der Libanon aber inzwischen die Hauptlast der Flüchtlingskrise. Von den zwei Millionen aus Syrien geflohenen Menschen sind gut 720 000 in dem Nachbarland, dass selbst nur vier Millionen Einwohner hat. Das birgt neuen Zündstoff - denn auch die Libanesen sind gespalten in Unterstützer und Gegner des Assad-Regimes in Damaskus. Dieser tiefe Konflikt führt immer wieder zu tödlichen Gefechten und Anschlägen.
In Syriens Nachbarstaaten sind den Vereinten Nationen zufolge 97 Prozent der Auslandsflüchtlinge untergekommen. Doch ein sicheres Exil haben die Hilfsbedürftigen dort nicht gefunden. In Jordanien werden die inzwischen etwa 520 000 Syrer immer stärker angefeindet - vor allem im nördlichen Mafrak, wo das riesige Flüchtlingslager Saatari liegt. Wegen der großen Nachfrage haben skrupellose Hausbesitzer die Mietpreise deutlich erhöht. Und auch auf den Arbeitsmarkt strömen syrische Billiglöhner. Das sorgt für Unmut unter den Jordaniern und für neue Spannungen in dem ohnehin schon wirtschaftlich geplagten Land.
In der Türkei, wo 464 000 Flüchtlinge leben, gab es im Grenzgebiet ebenfalls schon anti-arabische Ausschreitungen. Und in Ägypten werfen so einige Gegner der im Juli durch das Militär entmachteten Muslimbruderschaft den rund 111 500 syrischen Flüchtlingen pauschal eine Nähe zu den verhassten Islamisten vor.
„Syrien ist zur großen Tragödie dieses Jahrhunderts geworden - eine beschämende humanitäre Katastrophe mit Leid und Vertreibung in einem in der jüngeren Geschichte beispiellosen Ausmaß“, fasste es der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, António Guterres, jüngst zusammen. Denn noch immer reicht die internationale Unterstützung der Aufnahmeländer und Hilfsorganisationen bei weitem nicht aus. Laut UNHCR werden zur Versorgung der Flüchtlinge rund 2,3 Milliarden Euro benötigt - eingegangen seien bislang lediglich knapp 900 Millionen Euro.
Innerhalb Syriens sind etwa 4,25 Millionen Menschen aus ihren Wohnorten in andere Gebiete geflohen. Ihre Lage ist noch dramatischer als die der Auslandsflüchtlinge. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen rufen die Konfliktparteien schon seit langem auf, ihnen ungehinderten Zugang zu den notleidenden Menschen zu garantieren. Doch die Appelle verhallen ungehört. Das Welternährungsprogramm (WFP) konnte nach eigenen Angaben deshalb im August lediglich 2,4 Millionen Menschen mit Essen versorgen - und nicht wie geplant drei Millionen. Kämpfe und Checkpoints von Militär und Milizen machten es in vielen Gegenden unmöglich, zu den Hilfsbedürftigen zu gelangen.