Internationale Pressestimmen zum Tod von Helmut Schmidt
Berlin (dpa) - Der Tod von Altkanzler Helmut Schmidt beschäftigt die Medien weit über Deutschlands Grenzen hinaus. Eine Auswahl internationaler Reaktionen:
„Neue Zürcher Zeitung“ (Schweiz)
„Seine große Beliebtheit auch bei Deutschen, die ihn nie oder nur als Kinder als Bundeskanzler erlebt hatten, verdankte Schmidt gerade seiner unverblümten Art. Er war, nicht nur als Kettenraucher ohne Rücksicht auf Rauchverbote, das personifizierte Gegenteil der politischen Korrektheit und erfüllte so die Sehnsucht der Öffentlichkeit nach dem ehrlichen, unbequemen und durchaus autoritären Staatsmann.“
„Tages-Anzeiger“ (Schweiz)
„Auf dem Höhepunkt seines Erfolges galt Schmidt als "Weltökonom", der den weniger kompetenten Kollegen, auch wenn sie mächtigeren Staaten vorstanden, regelrechte Vorlesungen über Volkswirtschaft und Militärstrategie zu halten pflegte. Tatsächlich war Schmidt als studierter Nationalökonom der für sein Amt am besten ausgebildete Regierungschef, den Deutschland jemals hatte.“
„Basler Zeitung“ (Schweiz)
„Wie sehr ein Redner wie er der deutschen Öffentlichkeit fehlen wird, zeigt die lieblose Phrasenhaftigkeit in den Nachrufen der Kanzlerin, des Bundespräsidenten und weiterer Politiker, die zu zitieren kaum lohnt und die angesichts eines Mannes, dem in seinen letzten Lebensjahren so viel demonstrative Bewunderung entgegengebracht wurde, beinahe bestürzend wirkt.“
„Die Presse“ (Österreich)
„Er war der Methusalem der deutschen Politik, und längst war Helmut Schmidt gerade für eine jüngere Generation trotz seines mitunter schroffen Tons zu einer Kultfigur avanciert. Da erhob sich einer eigenmächtig und kraft seiner Autorität über die Gesetze politischer Korrektheit.“
„Salzburger Nachrichten“ (Österreich)
„Helmut Schmidt erkannte das Machbare und handelte entschlossen. Er bezeichnete Vernunft und Gewissen als die wichtigsten Elemente politischer Entscheidung. Bis zuletzt blies er — stets auf unabhängiges Denken bedacht — dem Zeitgeist widerborstig den Rauch seiner Zigaretten ins Gesicht.“
„Der Standard“ (Österreich)
„Während seiner Kanzlerschaft wurde Helmut Schmidt respektiert und von vielen auch gefürchtet — verehrt aber haben ihn die Deutschen erst im hohen Alter. (...) Von jener Beliebtheit, die Schmidt im hohen Alter entgegengebracht wurde, war er während seiner Kanzlerschaft übrigens weit entfernt: Umstritten war nicht nur sein atomfreundlicher Kurs, sondern auch sein Bemühen um den Nato-Doppelbeschluss.“
„NRC Handelsblad“ (Niederlande)
„Der intellektuelle Schmidt war als Kulturmensch allen Bundeskanzlern der Nachkriegszeit überlegen. Und er trat als Kanzler fähig und tatkräftig auf.“
„De Volkskrant“ (Niederlande)
„Seine offene Eitelkeit, große Schnauze und sein Mangel an politischer Korrektheit waren in den 50er und 60er Jahren in der deutschen Politik selten. Dass er später gerade für diese Eigenschaften geschätzt wurde, sagt viel über die Veränderung aus, die sich während der 96 Lebensjahre von Schmidt in der deutschen Gesellschaft vollzogen hat. Außerdem entpuppte sich ausgerechnet der Mann, der einst weit entfernt von Visionen war, rückwirkend als Visionär.“
„Le Monde“ (Frankreich)
„Helmut Schmidt war ein Visionär in der Wirklichkeit. (...) Von allen französisch-deutschen Paaren war das des ehemaligen Kanzlers mit dem früheren Präsidenten Valéry Giscard d’Estaing das aufrichtigste.“
„Le Figaro“ (Frankreich)
„Er wurde geliebt, geachtet und manchmal sogar für den wichtigsten Kanzler der Nachkriegszeit gehalten. (...) Mit ihm herrschte die Vernunft über die Leidenschaft. (...) Er war die Inkarnation der Realpolitik.“
„Rossijskaja Gaseta“ (Russland)
„Es fällt schwer, über Helmut Schmidt zu schreiben, wenn er nicht mehr da ist. (...) Noch vor kurzem hat Deutschland, den Atem anhaltend, seinen Worten gelauscht und seine neuen Bücher erwartet. Schmidt war das Symbol und Gewissen der Nation, der Kriegs- und der Nachkriegsgeneration der Bundesrepublik. Er war das Metronom, anhand dessen, das kann man sagen, Deutschland seine Schritte maß.“
„Nepszabadsag“ (Ungarn)
„Deutschland und Europa haben einen der großformatigsten Politiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verloren. Einen Sozialdemokraten, einen echten Staatsmann, den man in der Bundesrepublik als den "Weisen der deutschen Politik" betrachtete. (...) So wie er sich selbst nicht schonte (...), so fasste er auch seine politischen Nachfolger nicht mit Glacéhandschuhen an.“
„Lidove noviny“ (Tschechien)
„Das Wort Legende wird nach dem Tod vieler Staatsmänner gebraucht, aber bei Helmut Schmidt gibt es dafür gute Gründe. Zum Jahrgang 1918 gehörend, war er eine lebende Chronik des 20. Jahrhunderts. (...) Als Kanzler wurde er zu einem Symbol Westdeutschlands, das für uns in der sozialistischen Tschechoslowakei die Verkörperung aller unserer Sehnsüchte war.“
„Hospodarske noviny“ (Tschechien)
„Es gibt nicht viele, die ihr Alter mit einer solchen Würde und Ruhe bewältigen, wie es Helmut Schmidt bewiesen hat. Als westdeutscher Kanzler musste er im lange zurückliegenden Jahr 1982 aufhören, nachdem sich der Koalitionspartner von ihm abgewendet hatte. Doch er wurde nicht verbittert und zog sich nicht zurück, sondern etablierte sich als politischer Doyen, als allseits anerkannter Weiser, der das Geschehen mit Weitsicht kommentierte.“
„The Guardian“ (Großbritannien)
„Schmidt war nicht nur hervorragend in der Kunst der Politik und Staatsführung; er wusste das auch, und er stellte sicher, dass dies jedermann bewusst wurde. (...) Er leugnete jedes Verlangen nach Macht und Wohlstand, gierte aber nach öffentlicher Anerkennung.“
„The Telegraph“ (Großbritannien)
„Helmut Schmidt (...) dominierte als deutscher Bundeskanzler in den 70er Jahren die europäische Bühne wie kein anderer Politiker. (...) Er war besonders verletzt, dass Helmut Kohl, ein Mann mit sehr viel weniger offensichtlichen Talenten, ihn durch politische Heimtücke des liberalen Koalitionspartners und nicht durch die Wahlurne stürzen sollte.“
„El Mundo“ (Spanien)
„Helmut Schmidt - der Kanzler, der Europa stärkte. Er setzte die - von Willy Brandt eingeleitete - Politik der Entspannung mit der Sowjetunion fort und trieb den Aufbau des Europäischen Währungssystems voran. Er hinterlässt in seinem Land eine Lücke, die nicht zu schließen ist.“
„Il Messaggero“ (Italien)
„(...) In der Geschichte eines jeden Volkes gibt es ein Baryzentrum, und für das Nachkriegsdeutschland trägt dieser Punkt den Namen Helmut Schmidt. Sozialdemokratisch und gemäßigt, für die Arbeiter und zugleich ein Aristokrat, ist der Kanzler, der die Bundesrepublik an Frankreich und in Europa verankerte, gestern im Alter von 96 Jahren gestorben, hellwach bis zum Ende.“
„La Repubblica“ (Italien)
„Wenn Willy Brandt Deutschland dazu gebracht hatte, Frieden mit der Welt zu machen, war Helmut Schmidt der sozialdemokratische Kanzler, der sein Land in die wirtschaftliche Führungsmacht Europas verwandelte. Ihm ist faktisch die Erfindung des von ihm selbst so bezeichneten "Modells Deutschland" zuzuschreiben.“
„Ta Nea“ (Griechenland)
„Der Mann der die anderen Europäer "zum Teufel" geschickt hat, weil sie zunächst Griechenland in der Finanzkrise nicht helfen wollten, ist gestorben.“
„Aftenposten“ (Norwegen)
„Bei einigen Menschen hat man das Gefühl, dass sie ewig leben, dass sie schon immer hier gewesen sind und immer hier sein werden. So war das mit Helmut Schmidt. Der ehemalige Bundeskanzler (...) hatte eine einzigartige Position in der deutschen Gesellschaft: pragmatischer Weiser, begabter Redner und leidenschaftlicher Raucher.“
„Dagens Nyheter“ (Schweden)
„Während seiner Zeit als Kanzler hatte er mit schwierigen Fragen seiner Zeit zu kämpfen und war in höchstem Grad umstritten. Nach seiner Kanzlerzeit wurde er von den Menschen mehr geliebt und zählte lange zur höchsten moralischen Autorität in Deutschland. Helmut Schmidts Worten wogen schwer.“
„Svenska Dagbladet“ (Schweden)
„Eigentlich wollte Helmut Schmidt Architekt werden. Stattdessen wurde er einer der am meisten respektierten europäischen Staatsmänner der Nachkriegszeit.“
„New York Times“ (USA)
„Schmidts Lebensgeschichte zeichnete praktisch die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts nach. Er wurde als Sohn der Hamburger Arbeiterklasse nach der erniedrigenden Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg geboren. Er erlebte den Aufstieg der Nationalsozialisten, trat der Hitlerjugend bei, und diente in Hitlers Wehrmacht - wobei er seinen jüdischen Großvater nicht erwähnte - um dann auf der politischen Bühne zu erscheinen, als Deutschland nach dem Krieg geteilt war.“
„Washington Post“ (USA)
„Obwohl die Bundesrepublik in ihren frühen Jahren mit Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und Willy Brandt drei weltweit geachtete Kanzler hatte, war es Schmidt, der vielerorts als der fähigste Kanzler galt. Er verkörperte die Wandlung Westdeutschlands auf dem Wege zu einer durchsetzungsstarken, selbstbewussten und unabhängigen Politik.“