Isis-Vormarsch bedroht Ölmarkt
Bagdad/Wien (dpa) - Im Umkreis der größten Ölraffinerie des Iraks wird erbittert gekämpft. „Die aufsteigenden Rauchsäulen sind noch 50 Kilometer weiter zu sehen“, berichten Augenzeugen.
Dschihadisten der Terrorgruppe Islamischer Staat im Irak und in Syrien (Isis) nahmen am Mittwoch die Anlage in Baidschi rund 200 Kilometer nördlich von Bagdad unter Beschuss. Die Regierung antwortete mit Luftangriffen.
Kurz darauf verlautet aus Sicherheitskreisen, die Anlage sei in den Händen der Terroristen. Das Militär dementiert: Der Angriff sei zurückgeschlagen und 40 Extremisten getötet worden.
Baidschi ist für Bagdad strategisch bedeutend. Dort ist neben der wichtigen Raffinerie - von der viele Tankstellen des Landes den Treibstoff bekommen - auch ein Elektrizitätswerk, von dem aus die Hauptstadt mit Strom versorgt wird.
Die Nachrichtenlage ist unübersichtlich. Doch klar ist: Eine Woche nach dem Vormarsch der sunnitischen Extremisten im Irak macht sich Isis daran, die Lebensadern des Landes zu kappen. Die Internationale Energieagentur (IEA) bezeichnet die Ölförderung als einen Grundpfeiler der irakischen Wirtschaft. Für die Zukunft des Landes sei sie von entscheidender Bedeutung. Der Irak verfügt demnach über die fünftgrößten Erdölreserven weltweit.
2011 stammten 95 Prozent der irakischen Staatseinnahmen aus dem Ölgeschäft. Selbst im Vergleich zu anderen Erdölproduzenten im Nahen Osten ist der Staatshaushalt damit sehr von den Öleinnahmen abhängig. Die IEA warnt nun vor den Folgen des aktuellen Konflikts auf die Ölförderung. Ursprünglich war sie davon ausgegangen, dass der Irak bis 2019 das Land innerhalb der Organisation erdölexportierender Länder (Opec) mit dem größten Kapazitätszuwachs sein werde. Mit Blick auf die prognostizierte Ausweitung der irakischen Fördermenge um 1,28 Millionen Barrel (je 159 Liter) pro Tag bis 2019 spricht die IEA nun aber von „erheblichen Abwärtsrisiken“.
Dabei war der Irak - was die Ölförderung angeht - bis vor kurzem auf einem guten Weg. Es gab zwar täglich Anschläge und bewaffnete Übergriffe in dem Land - doch die Industrieanlagen blieben bis auf wenige Ausnahmen davon verschont. Im Mai förderte der Irak rund 3,3 Millionen Barrel täglich und war damit der zweitgrößte Opec-Produzent hinter Saudi-Arabien. Im ersten Quartal 2014 lieferte das Land vier Prozent der weltweiten Ölproduktion.
Aus dem Norden des Iraks wurde wegen der Unruhen in der Provinz Anbar allerdings schon seit Wochen kein Rohöl mehr exportiert - Isis hatte sich dort schon im Januar festgesetzt. Ferner wurde eine wichtige Pipeline bei einem Anschlag beschädigt. Über die Verbindung von Kirkuk nach Ceyhan in der Türkei wurde ursprünglich Öl aus den Ölfeldern im Nordirak auf die Weltmärkte gepumpt.
Seitdem stammen praktisch sämtliche Ölexporte aus Terminals in der Region um die südliche Stadt Basra. Beobachter gehen zwar nicht davon aus, dass die sunnitische Terrorgruppe Isis auch die Kontrolle über den überwiegend von Schiiten bewohnten Süden erlangen kann. Doch schon Unruhen in Bagdad würden die irakische Ölbranche nach Experteneinschätzung erschüttern, da dort viele Fäden zusammenlaufen. Wegen der unklaren Sicherheitslage haben Ölfirmen nach Beobachtung der Commerzbank damit begonnen, ausländisches Personal aus dem Irak abzuziehen.
„Ein kompletter Ausfall der irakischen Ölexporte wäre mittelfristig für den Weltmarkt schwer zu verkraften“, sagt Alexander Pögl vom Energieberatungsunternehmen JBC in Wien. Saudi-Arabien könnte die Ausfälle zwar teilweise kompensieren, Preissprünge auf mehr als 150 US-Dollar pro Barrel seien jedoch im schlimmsten Fall denkbar. „Auch Europa importiert Öl aus dem Irak“, sagt Pögl. „Wenn der Preis zu hoch würde, müsste man sich nach Alternativen umschauen.“
Nach Einschätzung des Opec-Chefs Abdalla Salem El-Badri hat die Krise im Irak erst angefangen, treibt jedoch schon jetzt die Ölpreise in die Höhe. „Es geht um viel“, sagte er bei einem Treffen von Öl- und Gasexperten in Moskau.
Nach Ansicht vieler Experten müsste die Opec ihre Erdölproduktion von derzeit knapp 30 Millionen Barrel pro Tag in der zweiten Jahreshälfte auf etwa 30,7 Millionen erhöhen, um die weltweite Nachfrage zu decken. Ursprünglich setzten sie dabei große Hoffnungen auf den Irak. Denn die Opec-Mitglieder Libyen, Nigeria und Iran bleiben bereits wegen innenpolitischer Unruhen oder internationaler Sanktionen deutlich unter ihren Exportmöglichkeiten. Doch die Zukunft des Iraks ist derzeit mehr als ungewiss.