Analyse Italiens Zukunft steht in den Sternen
Rom (dpa) - Wer verstehen will, wer in Italien die nächste Regierung stellen wird, braucht vor allem eines: einen Rechenschieber und viel Verständnis für politisches Geschacher. Das Land wacht nach der Wahl vom Sonntag mit vielen Gewinnern auf, aber mit niemandem, der auf Anhieb eine Regierung zusammenbringen könnte.
Wer denkt, Deutschland habe eine schwierige Regierungsfindung hinter sich, möge nun auf Italien schauen. Das beunruhigendste: dass Anti-EU-Parteien und Rechtspopulisten eine wahre Flut an Wählerstimmen auf sich vereinen konnten.
Zunächst einmal ist da die Fünf-Sterne-Protestbewegung, der wahre Abräumer des Abends. Nach Hochrechnungen konnte die Partei, die der Komiker Beppe Grillo 2009 als fundamentaloppositionellen Schmelztiegel erschaffen hat, rund 33 Prozent der Stimmen holen. Vor allem im abgehängten Süden hatte der Frust der Wähler einen Namen: Movimento5Stelle. Von einer „Vergöttlichung“ sprach gar Alessandro Di Battista, einer der bekanntesten Köpfe der Bewegung.
Ihr eher farbloser Spitzenkandidat, der erst 31 Jahre alte Luigi Di Maio, ist entschlossen, als jüngster Premierminister in den Regierungspalast einzuziehen und die Opposition Geschichte sein zu lassen. Doch so einfach wird das nicht. „Trotz einer stärker als erwarteten Leistung, sind die Fünf Sterne weit von einer absoluten Mehrheit entfernt“, erklärte Wolfango Piccoli von der EU-Denkfabrik Teneo.
Und auch ein anderer wird nun ein Wörtchen mitreden wollen, der zweite Gewinner des Abends: Matteo Salvini, Chef der rechten Lega. Seine Partei hat mit fremdenfeindlichen Parolen und Wahlkampf auf den Plätzen der Republik den Stimmanteil im Vergleich zur letzten Wahl vervierfachen können. Die einstige Separatisten-Partei aus dem reichen Norden trat erstmals landesweit an. Ob Salvinis Rechnung vor den Wahlen, im Süden auf 10 Prozent der Stimmen, in der Mitte auf 15 und in manchen Regionen im Norden auf 30 Prozent zu kommen, aufgegangen ist, wird sich in den kommenden Stunden zeigen.
Sicher aber ist es der Lega zu verdanken, dass das Mitte-Rechts-Bündnis von Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi auf mehr als 36 Prozent gekommen ist. Als stärkste Partei im Bunde ist es nun Salvini, der Anspruch auf den Chefposten hat, so war die Abmachung. „Wir ändern unseren Standpunkt nicht“, sicherte Renato Brunetta, Fraktionschef von Berlusconis Forza Italia, in der Wahlnacht zu. Doch auch der Allianz werden Sitze für die absolute Mehrheit fehlen - und es ist fraglich, ob sich weitere Verbündete finden, die beispringen, um „Salvini Premier“ wahr werden zu lassen.
Die Alptraum-Kombi ist der Schulterschluss zwischen Di Maio und Salvini, die die Zeitung „Il Foglio“ kürzlich als „grässliches und gefährliches politisches Monster, das seit Monaten Form annimmt“ beschrieben hatte. „Sollte Italien nach der Wahl eine Regierung erhalten, die ähnlich wie die Regierung Griechenlands Anfang 2015 auf Konfrontationskurs mit der Euro-Gruppe geht, dann ist der Ausgang völlig ungewiss“, hieß es vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim.
Die Standpunkte der Lega und der Sterne erscheinen nicht unvereinbar, was die EU und den Euro angeht. Salvini schimpft ständig auf die Gemeinschaftswährung, die Fünf Sterne forderten lange Zeit ein Referendum über den Verbleib in der Euro-Zone. Beide Parteien fordern einen Umbau der EU und eine Lockerung der Sparpolitik. Doch in den Wochen vor der Wahl mehrten sich die Aussagen der Sterne-Politiker, die unterstrichen, was Di Maio der „Welt“ gesagt hatte: „Wir verfolgen politische Ziele, die traditionell der Linken zugeordnet werden, jedoch auch solche mit liberalem Charakter. Die Rechte ist unser prinzipieller politischer Gegner.“
Die Zeiten des „ewigen Überlebenden“ Berlusconi scheinen dagegen wirklich abgelaufen - wie der 81-Jährige noch im Wahllokal in Mailand auf dem nackten Oberkörper einer Aktivistin zu lesen bekam. Selbst wenn der mehrfache Ex-Ministerpräsident bei der Regierungsfindung weiter mitmischen wird: Das Ergebnis für seine konservative Forza Italia ist eine Niederlage. Sein Kandidat für das Premiersamt, EU-Parlamentskandidat Antonio Tajani, dürfte nicht zum Zug kommen.
Doch es gibt noch einen, für den die Niederlage noch eklatanter ist: Matteo Renzi. Seine sozialdemokratische Partei PD wurde sogar in Hochburgen wie den Regionen Toskana, Umbrien und Marken abgestraft, eine „sehr eindeutige und sehr klare, eine krasse Niederlage“, sagte Renzis Vize Maurizio Martina. Der einstige Regierungschef und Hoffnungsträger wollte die PD zur stärksten parlamentarischen Kraft machen. Nun droht sie in beiden Parlamentskammern weniger Sitze zu haben als die Fünf Sterne, die Lega und die Forza Italia. „La Repubblica“ schreibt: „Eine Schlappe ohne Wenn und Aber“.