Neuordnung der Finanzströme „Jahrhundertreform“: Nach langem Streit glanzloses Finale
Berlin (dpa) - Von „historisch“ ist die Rede, teils sogar von einer „Jahrhundertreform“. Ganz ohne jegliche Übertreibung: Das im Bundestag gebilligte Gesetzespaket zur Neuordnung der Finanzströme zwischen Bund und Ländern ist ein tiefer Eingriff in die föderale Struktur und das Aufgabengeflecht.
Der Jubel hielt sich dennoch in Grenzen nach dem bedeutungsschweren Beschluss - an dem „Tag der Freude“, wie ein Länder-Regierungschef aufmunternd meinte. Zu ausgelaugt schienen die Volksvertreter nach der Jahre langen Kompromisssuche und dem aufreibenden Gefeilsche mit den Ländern.
Übersichtlicher wird das Grundgesetz nicht, wenn an diesem Freitag auch der Bundesrat mit der nötigen Zwei-Drittel-Mehrheit den neuen Finanzpakt absegnet. Gleich an 13 Stellen wird das „GG“ geändert, um die mühsam ausgehandelte Neuregelung verfassungsrechtlich festzuzurren. Hinzu kommen etliche „einfache“ Gesetze, um den kaum noch überschaubaren Milliarden-Umverteilungstopf ab 2020 neu anzurühren. Der soll nun mindestens bis zum Jahr 2030 gelten. Gleich neunmal musste im Parlament namentlich abgestimmt werden.
Die Reform war mehr als fällig. Ende 2019 läuft nicht nur der höchst umstrittene geltende Finanzausgleich aus. Dann ist auch Schluss mit dem „Solidarpakt II“ und den Sonderregelungen für den Osten. Zudem haben die „reichen“ Geberländer Bayern und Hessen bereits geklagt. Und schließlich greift ab 2020 die Schuldenbremse in den Ländern. Die dürfen dann keine neuen Schulden mehr aufnehmen.
Erstmals seit fast 50 Jahren wurde das komplizierte Finanzgeflecht reformiert, ohne dass das Bundesverfassungsgericht die Politik dazu gezwungen hat. Dann aber gehen die Meinungen über die wichtigste Reform dieser Legislaturperiode auseinander - vor allem zwischen dem Bund und der ausnahmsweise mal geschlossenen Länderfront.
Die 16 Länder-Regierungschefs sind mehr oder weniger zufrieden: kein Land wird nach der Neuordnung finanziell schlechter gestellt; alle Länder werden weiter ausreichend gestützt, um auch in Zeiten der Schuldenbremse klar zu kommen; die „reichen“ Geber werden entlastet, zahlen aber weiter üppig in den Solidartopf ein; das Saarland und Bremen erhalten Sonderhilfen; es gibt keine spezielle Ost-Regelung mehr; der Bund greift künftig tiefer in die Tasche und bekommt dafür von den Ländern - eher widerwillig - mehr Eingriffsrechte.
Bisher funktioniert der riesige Umverteilungstopf so: In der ersten Stufe bekommen „arme“ Länder etwas vom großen Umsatzsteuerkuchen. Stufe zwei ist der Länderfinanzausgleich im engeren Sinn. 2016 überwiesen die „Geber“ die Rekordsumme von 10,62 Milliarden Euro an schwache „Nehmer“. Davon schulterte Bayern mehr als die Hälfte. Umsatzsteuer- und Länderausgleich zusammen lagen 2016 bei fast 19 Milliarden Euro. Die dritte Stufe umfasst Zuweisungen des Bundes. 2016 waren das knapp 4,3 Milliarden Euro.
An die Stelle dieses Drei-Stufen-Systems tritt - nach Meinung der Reformer - ein einfacheres, transparenteres und gerechteres System. „Es wird keiner schlechter dastehen als zuvor“, jubelt Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz. Es gebe gesetzlich abgesicherte Ansprüche. „Die müssen nicht betteln kommen“, sagt der SPD-Mann, der geräuschlos mit Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) Vorlagen zu dem Kompromiss geliefert hat: „Es geht alles schön gerecht zu.“
Auch in Richtung nörgelnder Genossen meint Scholz, man könne nicht behaupten, die Länder zögen sich zulasten des Bundes aus der Solidarität zurück. Die drei großen „Geber“ würden entlastet, was der Bund ausgleiche. „So eine substanzielle Veränderung des Systems ist die Reform nicht“, sagt er und meint damit auch die höheren Zahlungen des Bundes von jährlich zehn Milliarden Euro - Tendenz steigend. Der Haushaltsexperte der Union im Bundestag, Eckhard Rehberg (CDU), sieht das natürlich etwas differenzierter: „Der Bund ist den Ländern finanziell sehr weit entgegengekommen.“
Aber nicht nur die umgeschichteten Finanzströme sorgen für manchen Frust. Ausgerechnet Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) wollte gegen die Reform stimmen. Er wettert über den „weitreichenden, monströsen Eingriff“ in das Grundgesetz. Deutschland laufe „sehenden Auges in einen Zentralstaat“, und „wir singen dabei föderale Lieder“. Lammert stößt sich an Bundeshilfen für marode Schulen. Das Kooperationsverbot für den Bund in der Bildung wird aufgebrochen.
Fast schon hysterische Züge hat die Debatte über die neue Autobahngesellschaft des Bundes angenommen, die Teil der Reform ist. Der Verkauf dieser Gesellschaft und Autobahnen wird per Grundgesetz ausgeschlossen - gleich mit mehreren Privatisierungsschranken. Was Warnungen vor einem drohenden Ausverkauf dennoch nicht verstummen lässt. Scholz ist sicher: „Privatisierungen sind ausgeschlossen, und das richtig und definitiv. Also dichter geht es gar nicht.“