Analyse Kraft oder Laschet? Wachsende Nervosität vor Wahl in NRW

Düsseldorf (dpa) - Die Nervosität wächst. Das Wählervotum in Nordrhein-Westfalen an diesem Sonntag ist viel mehr als „nur“ eine Landtagswahl, stößt sogar international auf Interesse.

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Im Kern geht es um die Frage: Kann SPD-Politikerin Hannelore Kraft, die 2010 als erste Frau Regierungschefin in Düsseldorf wurde, ihr Amt behalten und Kanzlerkandidat Martin Schulz vor der Bundestagswahl einen kräftigen Schub geben? Oder übernimmt CDU-Landesparteichef Armin Laschet im bevölkerungsreichsten Bundesland - und beschert seiner Partei nach dem Saarland und Schleswig-Holstein den dritten Sieg? Das wäre eine günstige Vorlage für Kanzlerin Angela Merkel.

Jüngste Umfragen sehen die SPD mit 32 zu 31 oder mit 33 zu 30 Prozent mal leicht vor der CDU, mal beide Parteien bei 32 Prozent gleichauf. Laut YouGov-Erhebung vom Donnerstag hat die CDU die SPD mit 31:30 sogar knapp überholt. Der einst satte SPD-Vorsprung ist weg. Und Laschet hat nach dem jüngsten CDU-Erfolg im Norden kräftigen Rückenwind für seinen Wahlkampf-Endspurt.

Für die SPD geht es um ihr „Stammland“. Seit gut 50 Jahren führt die SPD in NRW die Regierung - einzige Ausnahme war CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers 2005 bis 2010 mit Schwarz-Gelb. Eine Niederlage für Kraft (55) wäre ein schmerzhafter Schlag für die gesamte SPD.

Aber: „Es ist noch viel Dynamik drin, schon ein kleiner Vorfall im letzten Moment kann alles drehen“, gibt Politikwissenschaftler Stefan Marschall zu bedenken. Unter den 13,1 Millionen Wahlberechtigten sind noch viele unentschlossen, ob und wie sie am 14. Mai abstimmen.

Am wahrscheinlichsten ist, dass es erstmals in der Geschichte des Landes zu einer großen Koalition, einer „GroKo“, kommen wird. Kraft und Laschet können persönlich ganz gut miteinander. Auch inhaltlich scheinen die Differenzen der beiden Parteien nicht unüberbrückbar.

Die zentralen Themenkomplexe, die die Wahl zwischen Rhein und Weser entscheiden dürften, sind Innere Sicherheit, Bildung, Wirtschaft und Verkehr. Die CDU wirft Rot-Grün in der Schulpolitik nach sieben Jahren eine schwache Bilanz vor, nennt etwa hohen Unterrichtsausfall, vergleichsweise geringe Bildungsausgaben oder unzureichende Rahmenbedingungen für die Inklusion. Allerdings verantwortet Grünen-Schulministerin Sylvia Löhrmann den Bereich.

Größte Uneinigkeit besteht bei der Inneren Sicherheit. Die CDU schießt scharf gegen Innenminister Ralf Jäger (SPD), dem sie zahlreiche Fehler vorhält. Stichworte: Kölner Silvesternacht, der Terrorfall des Attentäters vom Berliner Weihnachtsmarkt Anis Amri, No-Go-Areas in manchen Stadtteilen, hohe Einbruchszahlen und eine stark wachsende Salafisten-Szene. Für die CDU wäre eine Koalition mit Jäger an Bord wohl nicht verhandelbar.

Viele Koalitionsoptionen zeichnen sich auf den letzten Metern nicht ab. „Es geht ein Virus der Ausschließeritis um“, sagt Marschall. Noch kurz vor Toresschluss hat Kraft in einem WDR-Interview ein Bündnis mit den Linken ausgeschlossen. Zuvor hatte sie diese zwar stets als „nicht regierungsfähig“ bezeichnet, aber nicht kategorisch Nein zu einer Zusammenarbeit gesagt. Damit hoffe Kraft nun, noch Wähler zu gewinnen, die eigentlich mit den Linken liebäugeln.

Dreier-Bündnisse scheinen praktisch vom Tisch. Das gilt für Rot-Rot-Grün nach Krafts jüngster Klarstellung ebenso wie für die rot-gelb-grüne Ampel, die die FDP ausschließt. Die Grünen haben sich gegen Jamaika mit CDU und FDP ausgesprochen. Falls SPD und FDP sehr starke Ergebnisse holen, wäre sozialliberal denkbar. Ähnlich wäre es bei Top-Werten mit CDU und FDP. Rot-Grün kommt laut Umfragen schon lange nicht mehr auf eine Mehrheit.

Auch beim Szenario „GroKo“ sind viele Fragen offen: Welche Partei gibt den Ton an, wer wird Chef oder Chefin? Wird die SPD Nummer eins und die CDU zweistärkste Kraft, könnte Laschet stellvertretender Ministerpräsident werden. Es dürfte allerdings CDU-intern keineswegs leicht vermittelbar sein, „weiter eine Regierungschefin Kraft zu schlucken, die man als Ministerpräsidentin ja abwählen wollte“, glaubt Marschall.

Und wenn die SPD zweistärkste Partei und damit Juniorpartnerin werden sollte? Hannelore Kraft als Mitglied eines Kabinett unter Laschets Führung gilt als undenkbar. „Es wäre doch höchst erstaunlich, wenn eine frühere Ministerpräsidentin ein Ministeramt unter dem früheren Oppositionspolitiker annimmt“, sagt auch Marschall. An der spannenden NRW-Wahl gebe es sogar außerhalb von Europa großes Interesse. Und so werden Medienvertreter aus Russland, China, Japan oder Südafrika am Sonntag ihre Landsleute live aus dem Düsseldorfer Landtag auf dem Laufenden halten.