Analyse Neuer Geldsegen und Schäubles gebremste Euphorie

Berlin (dpa) - Als dienstältester Bundestagsabgeordneter hat Wolfgang Schäuble noch beim Vater der sozialen Marktwirtschaft persönlich gelernt. Fünf Jahre saß der Bundesfinanzminister mit Ludwig Erhard im Bundestag.

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Von ihm wisse er, dass es nicht nur soziale Gerechtigkeit brauche, sondern auch Wachstum, sagt Schäuble, als er erfreuliche Zahlen präsentieren darf. Bis Ende 2021 fließen nochmal 54,1 Milliarden Euro mehr in die Kassen von Bund, Ländern und Kommunen, als die Steuerschätzer Ende 2016 errechnet hatten. So eine Nachricht vier Monate vor der Bundestagswahl weckt Begehrlichkeiten.

Schäuble übt sich daher wieder einmal in der Kunst des Tiefstapelns. „Ich bin ja der Bundesfinanzminister, ich bin hier nicht als Parteipolitiker“, gibt er zu bedenken. Schon länger warnt der CDU-Politiker auch die eigenen Reihen vor allzu kostspieligen Wahlversprechen und stellt Steuersenkungen um allenfalls 15 Milliarden Euro in Aussicht. „Eine maßvolle Entlastung von kleinen und mittleren Einkommen ist möglich und sie ist angezeigt“, sagt er.

Selbst für den Politprofi Schäuble dürfte es bis zur Bundestagswahl Ende September aber schwer werden, bei dem in Aussicht gestellten zusätzlichen Geldsegen den Deckel auf dem Steuertopf zu halten. Da wird ihm auch der Verweis auf die Kassenlage des Bundes wenig nützen - obwohl er Einiges aufzählen kann.

Schließlich entlastet der Bund unter anderem die Kommunen bei den Flüchtlingskosten. Die schrittweise Abschaffung des „Soli“ schlägt beim Bund ebenfalls mit einem Minus zu Buche. Allein hier geht es immerhin um knapp 20 Milliarden Euro. Ab 2020 soll der neue Länderfinanzausgleich greifen. Bleibt es beim Vereinbarten, muss der Bund dann jährlich fast zehn Milliarden Euro an die Länder überweisen - Tendenz steigend. In der aktuellen Mai-Steuerschätzung ist dieser Brocken noch gar nicht berücksichtigt.

Ungeachtet dessen lässt die Mai-Schätzung diejenigen auftrumpfen, die spürbarere Entlastungen fordern. Von bis zu 30 Milliarden Euro ist teils die Rede. Carsten Linnemann, Chef des CDU-Wirtschaftsflügels, sagt: „So günstig wie in diesen Jahren war die Zeit für stärkere Entlastungen und eine echte Steuerstrukturreform noch nie.“ Es dürften am Ende „nicht nur zwei Cappuccino-Tassen“ übrig bleiben.

Noch haben Union, SPD und Grüne ihre Ziele in der Steuerpolitik für die nächsten vier Jahre nicht in allen Details bestimmt. Der Chef der wieder in den Bundestag strebenden FDP, Christian Lindner, sagte dem „Handelsblatt“, 30 bis 40 Milliarden Euro jährliche Entlastung bis Ende des Jahrzehnts halte er für erreichbar. Die AfD will die Bürger auch bei der Mehrwertsteuer entlasten.

Der Finanzminister der künftigen Bundesregierung muss aber nicht nur die von den Parteien versprochenen Steuersenkungen finanzieren. Es geht auch um eine niedrigere Abgabenlast, was die Sozialkassen belasten und den Bund zu höheren Zuschüssen zwingen könnte. Schäuble erinnert daran, dass die Hälfte der Bevölkerung gar keine Lohn- und Einkommensteuer zahlt. Und zitiert verschmitzt seinen Vorgänger und Parteifreund Theo Waigel, dessen Vater gern über die hohen Steuern geklagt habe, ohne je welche gezahlt zu haben.

Und dann sind da ja noch die Investitionen. Auch hier gibt Schäuble den Mahner. Geld müsse da ausgegeben werden, wo es „wachstumspolitisch“ sinnvoll sei. Da wird der Finanzminister doch mal kurz zum Wahlkämpfer - die Pressemitteilungen von Martin Schulz' SPD lese er schon gar nicht mehr, weil sie ihn langweilten.

Bei Steuersenkungen ist die künftige Bundesregierung - in welcher Konstellation auch immer - auf das Wohlwollen der Länder angewiesen. Denn die müssen zusammen mit den Kommunen die andere Hälfte der Einnahmeausfälle finanzieren. Zuletzt wollten die Länder keinen Cent locker machen - bis auf die vom Grundgesetz vorgeschriebenen Entlastungen. Da gibt es auch keine Länder-Rücksicht auf das jeweilige Regierungsbündnis im Bund.

Ein größerer Wurf in der Steuerpolitik ist dennoch überfällig, sowohl zugunsten der Privathaushalte als auch der Unternehmen. Die letzte durchgreifende Entlastung hatte die 2005 abgewählte rot-grüne Koalition auf den Weg gebracht. Steigende Einkommen und unveränderte Steuertarife führen dazu, dass immer mehr Arbeitnehmer unter den Spitzensteuersatz von 42 Prozent fallen. Der greift für einen Single schon ab einem zu versteuernden einkommen von rund 54 000 Euro. Das betrifft längst auch gut bezahlte Facharbeiter.

Schäuble hatte schon im Januar verkündet, nach der Bundestagswahl müsse das Steuersystem angepackt werden. Was nicht nur ein Hinweis sein könnte, dass der bald 75-Jährige nach der Bundestagswahl als oberster Kassenwart gern weitermachen würde. Am Donnerstag sagt er erneut, man müsse nicht nur an die Einkommensteuer ran, sondern auch an die Besteuerung von Unternehmen. Ein Grund: Großbritannien und die USA heizen den Wettlauf um niedrige Firmensteuern an.