Kriminalpsychologe: Vorverurteilung erklärbar aber nicht akzeptabel
Wiesbaden (dpa) - Kaum hatte die Polizei im Emder Mordfall einen Tatverdächtigen festgenommen, war dieser bereits in zahlreichen Internet-Foren als Mörder vorverurteilt worden - völlig zu Unrecht, wie sich am Freitag herausstellte.
Eine Reaktion, die nicht akzeptabel, psychologisch aber erklärbar sei, meint der Direktor der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden, Rudolf Egg. Denn gerade bei Sexualstraftaten fühlten sich viele Menschen persönlich betroffen und bedroht, sagte der Kriminalpsychologe am Freitag in Wiesbaden der Nachrichtenagentur dpa. „Und Sexualmorde an Kindern sind das sensibelste Thema überhaupt.“
„Was einen selber bedrohen könnte, macht sehr viel mehr Angst als das, was andere bedroht“, meint der Experte. Daher könne es leicht zu Reaktionen wie in Emden kommen, wo ein 17-Jähriger zunächst unter Verdacht stand, die elfjährige Lena in einem Parkhaus umgebracht zu haben. Die Ermittler gingen zuletzt von einer sexuell motivierten Tat aus.
Gleichwohl verurteilte er moralisch vorschnelle Reaktionen: Dass jemand von der Polizei verdächtigt werde, komme vor und sei in Ordnung. „Das kann man verkraften, wenn die Polizei anschließend sagt, wir haben uns geirrt, wir wissen jetzt, Sie können es gar nicht sein. Aber dass der Name schon im Internet kursiert, dass es Aufrufe gibt zum Mob und zur Lynchjustiz, ist etwas, was einen dann schon belastet. Ich hoffe, dass die Schuldigen identifiziert und bestraft werden.“ Ein solches Verhalten sei in keiner Weise hinzunehmen.
Gleiches gelte auch für die Medien, die sich teilweise der Vorverurteilung angeschlossen hätten. „Die Medien müssen schon aufpassen. Die Meldung ist nicht der höchste Wert, um den es gehen kann“, sagte der Kriminalpsychologe.