Das Internet als Stammtisch: Vorverurteilung in Emden
Berlin (dpa) - Soziale Netzwerke sind ein Spiegel der Gesellschaft - nach der Inhaftierung eines 17-Jährigen im Fall der ermordeten Lena in Emden machten Mordaufrufe die Runde. „Es gibt nur eins: Erschießen“, schrieb einer bei Facebook.
Diesmal blieb es nicht bei Stammtischparolen, wie sie auch an anderen Orten im Netz und zu anderen Fällen immer wieder auftauchen. Es gab auch Lynchaufrufe. Und in der Nacht zum Mittwoch belagerten rund 50 Menschen stundenlang das Polizeigebäude in Emden. Am Freitag wurde der Jugendliche dann als unschuldig aus der Untersuchungshaft entlassen.
Im Internet stoßen das Recht auf freie Meinungsäußerung und Persönlichkeitsrechte auf eine Weise zusammen, dass sich nur im Einzelfall klären lässt, welches Rechtsgut übergeordnet ist. Die Privatsphäre ist geschützt. Auch Facebook-Seiten und Blogs müssen sich daran halten.
Zivil- oder gar strafrechtlich relevant wird es bei falschen Tatsachenbehauptungen, Verleumdungen, Beleidigungen oder Schmähkritik. Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Bernhard Witthaut, sagte zu den Vorkommnissen in Emden: „Wer hinter den Lynchaufrufen steckt, muss die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen.“
Der Direktor der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden, Rudolf Egg, bemängelte, dass sich auch Medien teilweise der Vorverurteilung angeschlossen hätten. Der Regensburger Kriminologe Henning Ernst Müller mahnte ihn einem Blog-Beitrag, dass auch Polizei und Staatsanwaltschaft ihre Art der Öffentlichkeitsarbeit überdenken sollte. Wenn vorläufige Ermittlungsergebnisse in Strafverfahren der Öffentlichkeit mitgeteilt würden, könne dies enorm gefährlich sein.
So wie es die Hetzreden im Netz gibt, stellen sich auch andere diesen entgegen. Nach der Freilassung des 17-Jährigen schrieb ein Facebook-Nutzer: „Zum Glück gibt es so etwas wie die von Euch geforderten Strafen hier nicht. Es hätte mal wieder einen Unschuldigen getroffen.“