Leben für die Kunst: „Mehr als meine Bilder habe ich nichts geliebt“
Augsburg/München (dpa) - Cornelius Gurlitt ist tot. Deutschlands wohl berühmtester Kunstsammler starb am Dienstag mit 81 Jahren in seiner Münchner Wohnung - dort, wo er jahrzehntelang seine Bilder vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen hatte.
Gurlitt starb nicht einmal einen Monat, nachdem die Staatsanwaltschaft Augsburg beschlossen hatte, ihm die millionenschwere Kunstsammlung zurückzugeben. Wie es mit dieser nun weitergeht, ist offen. „Ich kann dazu aktuell nicht Stellung beziehen“, sagte Gurlitts Sprecher Stephan Holzinger.
Gurlitt, der seit Monaten im Mittelpunkt einer hitzigen Debatte um Nazi-Raubkunst gestanden hatte, war schwer krank und wurde bis zuletzt betreut. „Nach schwerer Herzoperation und einem wochenlangen Aufenthalt in einer Klinik war es Wunsch des Verstorbenen, in seine Schwabinger Wohnung zurückzukehren. Dort wurde er in den letzten Wochen rund um die Uhr pflegerisch betreut und versorgt“, teilten seine Anwälte mit.
Noch vor einem Monat schien der Kunstkrimi, der Gurlitts Welt Anfang 2012 aus den Fugen geraten ließ, ein versöhnliches Ende für ihn zu finden. „Ein guter Tag für Cornelius Gurlitt“, freuten sich seine Anwälte Anfang April, nachdem die Staatsanwaltschaft Augsburg die Beschlagnahmung seiner Kunstsammlung aufgehoben hatte. „Er freut sich, ist dankbar und erleichtert, dass alles sich so auflöst“, sagte sein Anwalt Tido Park damals.
Gurlitt sollte seine Bilder nach mehr als zwei Jahren der Beschlagnahmung zurückbekommen - unter der Voraussetzung, dass er den Behörden ermöglicht, die Herkunft der Bilder zu erforschen, Nazi-Raubkunst zu identifizieren und an die rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben.
Was nun nach seinem Tod mit der Sammlung aus seinen Wohnsitzen in München und Salzburg geschehen soll - das wird das nächste Rätsel im „Fall Gurlitt“ sein. Auf die Salzburger Sammlung, die sogar noch mehr wert sein könnte als die Münchner, hatten die Behörden nie Zugriff. Die Münchner Bilder gehörten Gurlitt laut Vertrag zwischen Bund und Freistaat Bayern und nach dem Ende der Beschlagnahmung auch wieder.
„Ich kann dazu aktuell nicht Stellung beziehen“, sagt Gurlitts Sprecher Holzinger auf die Frage nach der Zukunft der Bilder. Wer die Sammlung erbt, ob sie möglicherweise an den Staat fällt und wie die Herkunftsforschung fortgesetzt wird - all das sind zunächst unbeantwortete Fragen.
Viele soziale Kontakte hatte Gurlitt, der Sohn von Adolf Hitlers Kunsthändler Hildebrand Gurlitt (1895-1956), nicht. Der Mann, der menschliche Kontakte scheute, lebte in einer Welt lebte, in der seine besten, vielleicht seine einzigen Freunde Marc Chagall, Otto Dix, Max Liebermann oder Pablo Picasso hießen. Der Mann, den der „Spiegel“ ein „Phantom“ nannte, wurde nach dem Bekanntwerden des Kunstfundes in das grelle Licht der Öffentlichkeit gezerrt. Plötzlich wusste jeder, welchen Millionenschatz er in seiner Wohnung hortete.
Für Gurlitt muss die Beschlagnahme eine Tragödie, die mediale Aufregung auf der ganzen Welt ein Schock gewesen sein. „Andere haben ihre Katze, die sie jeden Abend streicheln, er hatte seine Bilder“, sagte ein Behördensprecher damals, und ein solches Bild von Gurlitt ergibt sich auch aus den Gesprächen, die „Spiegel“-Autorin Özlem Gezer mit ihm führte. In einen Menschen sei er noch nie verliebt gewesen, sagte er da. „Mehr als meine Bilder habe ich nichts geliebt in meinem Leben.“
In der öffentlichen Meinung entwickelte sich Gurlitt schließlich vom halsstarrigen, uneinsichtigen alten Mann, der der historischen Verantwortung Deutschlands nicht gerecht wird und auf Bildern hockt, zum Justizopfer. Das Vorgehen der Augsburger Staatsanwaltschaft, die seine Bilder nach einem „schwachen Anfangsverdacht“ beschlagnahmen ließ und zwei Jahre lang festhielt, geriet ins Kreuzfeuer der Kritik.
Nach seinem Tod ist Gurlitt für Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) jemand, der sich zu seiner „moralischen Verantwortung“ bekannt hat. Für Bayerns Justizminister Winfried Bausback (CSU) hat Gurlitt „an seinem Lebensabend eine großmütige Entscheidung getroffen, sein in Deutschland ruhendes Erbe den Washingtoner Prinzipien zu unterwerfen.“
Mit seinem Tod endet auch das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Augsburg gegen Gurlitt. Der damals schon kranke Kunstsammler selbst hatte in einem einzigen Interview des „Spiegel“ im November 2013 gesagt: „Die hätten doch warten können mit den Bildern, bis ich tot bin.“ Auf seiner Webseite stand am Dienstag noch eine kurze Erklärung vom 16. Februar. Gurlitt schrieb: „Ich habe nur mit meinen Bildern leben wollen, in Frieden und in Ruhe.“