Löw und Co. nähren Zweifel an Titelreife

Porto Alegre (dpa) - Noch zwei Siege sind es bis zum Traumfinale im berühmten Maracanã-Stadion, doch die Zweifel an einer triumphalen deutschen WM-Titelmission in Brasilien wachsen.

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Zu deutlich traten beim beschwerlichen Viertelfinal-Einzug gegen engagierte, aber spielerisch nicht zur ersten Fußball-Güteklasse zählende Algerier die Defizite im Team von Joachim Löw zutage. Unbeantwortet sind auch weiterhin entscheidende Fragen zur persönlichen WM-Fitness von Leistungsträgern wie Bastian Schweinsteiger oder Sami Khedira, aber ebenso zu den Coaching-Qualitäten des Bundestrainers.

„Im Moment kann man eher Frankreich in der Favoritenrolle sehen“, bemerkte selbst Teammanager Oliver Bierhoff vor dem nächsten K.o.-Spiel am Freitag (18.00 Uhr) beim Probelauf in der Endspielarena in Rio de Janeiro gegen erstarkte Franzosen. Am Dienstag hatte Löw im Campo Bahia erst einmal „körperliche und geistige Regeneration“ verordnet. Bis auf Shkodran Mustafi, der wegen eines Muskelbündelrisses bei dieser WM nicht mehr spielen kann, hat sich allerdings kein Spieler neue ernsthafte Blessuren zugezogen.

Nur drei Tage bleiben dem Bundestrainer und seinem ausgelaugten Team, um sich besser auf den starken Viertelfinalgegner vorzubereiten als ihnen das gegen die leidenschaftlichen Nordafrikaner in Porto Alegre gelungen war. „Ein Horrorfilm war es nicht, aber wir haben sicherlich nicht gut gespielt“, erklärte der wegen der Erkrankung von Mats Hummels in die Innenverteidigung gerückte Jérome Boateng.

„Am Ende haben wir trotzdem verdient gewonnen. Aber wir wissen natürlich, dass wir viele Sachen verbessern müssen“, räumte der Münchner ein. Für den als mitspielender Torhüter überzeugenden Manuel Neuer ist Frankreich „die stabilste Mannschaft im Turnier. Das ist keine einfache Aufgabe für uns“, erklärte Neuer.

Schnell war am Montagabend vor 43 063 Zuschauern im kühlen Porto Alegre und 28 Millionen Fans daheim vor den TV-Schirmen klar geworden, dass weder der Trainer mit seinem Matchplan noch die Spieler mit ihrer lange Zeit behäbigen Spielweise den krassen Außenseiter beeindrucken konnten. „Wir hätten das Spiel auch lieber anders gewonnen, aber Algerien hat gut gespielt und es uns schwer gemacht“, gestand André Schürrle.

Mit seinem Tor in der Verlängerung (92.) löste der Chelsea-Profi den Knoten. Mesut Özil (119.) legte nach. „Wir wissen, dass die Franzosen offensiv nochmal stärker sind und mehr Qualität haben, da müssen wir von der ersten Minute an besser spielen“, betonte Schürrle. Aber auch der Torschütze durfte im Basislager zunächst noch einen Nachmittag mit Familienanschluss genießen.

Chef Löw, der an der Seitenlinie teilweise ratlos und distanziert gewirkt hatte, verschwand sofort nach dem Abpfiff in den Katakomben und übergab seinem Assistenten Hansi Flick die ersten Aufgaben. Gemeinsam mit Manager Bierhoff bedankte sich der Co-Trainer zunächst beim algerischen Coach Vahid Halilhodzic und klatschte dann jeden deutschen Spieler erleichtert ab.

Der Bundestrainer selbst schaltete in einen Positiv-Modus um: „Soll ich jetzt nach dem Weiterkommen unter die letzten Acht stark enttäuscht sein? Wäre das angebracht? Wir haben natürlich gesehen, dass wir in der ersten Halbzeit nicht gut gespielt haben. Aber solche Spiele gibt es bei jedem Turnier, in denen man den unbedingten Willen haben muss, in die nächste Runde zu kommen“, sagte Löw.

Auf dem dreistündigen Rückflug zurück ins WM-Basiscamp nach Porto Seguro nahm Löw eine erste Bestandsaufnahme vor. Hummels plagt ein grippaler Infekt. Auch Thomas Müller war leicht erkältet. Beim überforderten WM-Neuling Mustafi soll noch entschieden werden, ob er seine Verletzung in Brasilien oder zu Hause auskuriert. Boateng, Per Mertesacker und vor allem Schweinsteiger quälten sich über die Ziellinie oder schieden zuvor aus. „Er war kräftemäßig einfach völlig am Limit“, sagte Löw über Mittelfeldmann Schweinsteiger, der von Krämpfen geplagt in der Verlängerung ausgewechselt werden musste.

Der höhere Kräfteverschleiß könnte zum Handicap werden. „Wir mussten in die Verlängerung gehen. Das ist ärgerlich, wenn man sieht, dass Frankreich 2:0 gewonnen hat und das auch in der regulären Zeit“, bemerkte Neuer. Deutschlands Nummer 1 hatte das DFB-Team mit mehreren erstklassigen Rettungsaktionen weit vor dem Strafraum überhaupt im Spiel gehalten. Der Bundestorwartcoach hat „selten“ einen besseren Libero gesehen: „Den Franz Beckenbauer vielleicht“, scherzte Andreas Köpke. „Wichtig ist, dass Manu das Auge hat. Dafür ist er weltberühmt geworden“, lobte Mertesacker und ergänzte: „Wir sind unter den letzten Acht - und das ist alles, was zählt.“

Man habe gesehen, „wie wir kämpferisch agieren können“, hob Müller einen hoffnungsvollen Aspekt hervor. Der viermalige Turnier-Torschütze bereitete dieses Mal Schürrles wichtigen Treffer vor und war neben Neuer der engagierteste deutsche Spieler. „Die ganze Truppe hat gebissen, jeder ist ans Limit gegangen. Das gibt Hoffnung auf mehr“, meinte der Angreifer vom FC Bayern München.

„Solche Spiele müssen manchmal sein, wenn man nach ganz oben kommen möchte“, meinte Torwartcoach Köpke, der 1996 in England als Aktiver am EM-Triumph und damit am letzten deutschen Titel beteiligt war. Auch da hatte es im Turnier einige Stotterspiele gegeben.

„Man kann nicht immer davon ausgehen, dass eine Mannschaft fantastisch spielt“, meinte Löw zur Gegenwart. „Das haben wir vielleicht in der Vergangenheit bei dem einen oder anderen Turnier gemacht - und sind ausgeschieden. Man muss nicht immer fantastisch spielen, aber gewinnen.“ Vielleicht wird der 54-Jährige bei seinem vierten Turnier als Chef nun auch ein bisschen zum möglichen Glück gezwungen. Denn nach Mustafis Ausfall rückte Lahm aus dem Mittelfeld wieder auf seine angestammte Position rechts in der Abwehrkette. Und gleich funktionierten die Mechanismen im Spiel besser.

Löw schloss dann auch eine dauerhafte Rückversetzung von Lahm nicht mehr kategorisch aus, wie er es noch vor dem Achtelfinale getan hatte. „Man muss den Spielern ein, zwei Tage Zeit geben, um sich zu regenerieren. Dann werden wir personelle Entscheidungen treffen“, antwortete der Bundestrainer auf eine entsprechende Frage.