Opfer und Helden London überlebt den Terror
London (dpa) - Ein weißer Kleintransporter rast auf der London Bridge in eine Gruppe von Passanten. Dann fährt er weiter zum nahe gelegenen Borough Market, einer beliebten Touristenttraktion im Herzen der britischen Hauptstadt.
Drei Attentäter springen heraus und stechen mit langen Messern auf Menschen ein. „Dies ist für Allah“, rufen die Terroristen nach Augenzeugenberichten. Menschen schreien, flüchten, verstecken sich hinter Tischen in Restaurants und Bars.
Nur acht Minuten nach dem ersten Notruf erschießen Polizisten die drei Täter. Sie tragen Westen mit Behältern, die aussehen, als würden sie Sprengstoff enthalten. Es sind Attrappen, wie sich herausstellt. Die blutige Bilanz der Attacke am späten Samstagabend: mindestens sieben Tote und rund 50 Verletzte. Einige schweben in Lebensgefahr. Die Polizei erklärt 25 Minuten nach Mitternacht, es habe sich um „terroristische Vorfälle“ gehandelt.
Es ist der dritte Terroranschlag in nur drei Monaten im Königreich. „Jetzt reicht's“, sagt Premierministerin Theresa May am Sonntag und kündigt kurz vor der Parlamentswahl am Donnerstag eine schärfere Gangart gegen den Terrorismus an.
„Terroristenattacke! Lauft! Lauft!“, ruft ein Taxifahrer aus seinem Auto den vielen Menschen zu. Andere kauern sich in ihrer Angst hinter Stühle und Tische in Bars, wie Videos zeigen. „Noch nie in meinem Leben habe ich so viel Angst gehabt“, sagt ein Augenzeuge, der in der Nähe des Tatorts ein Bier in einer Bar trank, dem Sender BBC.
Augenzeugen berichten, dass die Attentäter wie von Sinnen auch in Gesichter und Kehlen mit ihren Messern eingestochen hätten. Nur mit einem Schlagstock bewaffnet stellte sich ein Polizeibeamter den Angreifern entgegen. Er hatte Hilferufe gehört und war als einer der ersten zum Tatort geeilt. Bei dem Einsatz wird er selbst schwer durch Messerstiche verletzt, aber er überlebt.
Mit bloßen Händen greift ein weiterer Beamter ein. Er ist nicht im Dienst, war nur mit Freunden am Markt einen trinken. Auch er wird verletzt. Die Londoner Polizeichefin Cressida Dick lobt die Polizisten und Helfer am Montag als „absolut heldenhaft“.
Die Lage ist zunächst völlig unübersichtlich. Gibt es noch mehr Attentäter? Die Polizei mahnt die Bevölkerung zur Achtsamkeit. Das Areal wird evakuiert, auch mit Hilfe von Booten auf der Themse. Viele Menschen halten die Hände hinter den Kopf, als sie das Gebiet verlassen. Auch verängstigte Kinder werden in Sicherheit gebracht.
Polizeisirenen ertönen, Rettungswagen fahren vorbei, Blaulicht überall. Am Straßenrand stehen ratlose Menschen, die nicht wissen, wo sie hingehen sollen oder wie sie nach Hause kommen - viele noch in schicker Abendkleidung.
Die Einsatzkräfte sind die eigentlichen Helden der Nacht - die Polizisten, die sich den Terroristen entgegenstellten; die mehr als 80 Ärzte und Sanitäter, die am Samstag am Tatort waren. Doch auch die Zivilbevölkerung hat Mut bewiesen: Augenzeugen berichten von einer Frau, die die Tür eines Pubs versperrte, um das Eindringen der Terroristen zu verhindern. Ein Bäckereiangestellter erzählt, wie er rund 20 Menschen in den Laden ließ und dann die Rollläden dichtmachte.
Noch in der Nacht hatten zahlreiche Einwohner und Geschäftsleute in der britischen Hauptstadt gestrandeten Menschen Übernachtungsmöglichkeiten angeboten. Hotels und Restaurants am Südufer der Themse kümmerten sich um Menschen auf dem Heimweg. Londons Bürgermeister Sadiq Khan verspricht am Montag, die Stadt werde sich nicht unterkriegen lassen.
In den Tagen nach dem Anschlag sind viele Londoner noch benommen und bestürzt. Die Polizeichefin sagt, die Anschläge sind eine „neue Realität“, auf die sich die Briten wohl einstellen müssten. Auch werde es mehr Polizisten geben - auf den Straßen und bei öffentlichen Veranstaltungen.
Tatsächlich war der Vorfall am Samstag eine Art Déjà-vu: Der Anschlag von der Westminster-Brücke im März lief sehr ähnlich ab. Damals fuhr ein Attentäter mit einem Fahrzeug bei hohem Tempo auf der Brücke beim Parlament in eine Menschenmenge. Wie jetzt erstach er anschließend mit einem Messer einen Mann. Es war ein unbewaffneter Polizist. Noch immer legen Menschen dort Blumen am Zaum beim Parlament ab. Bilanz: sechs Tote, Dutzende Verletzte.
Noch frischer ist die Erinnerung an den Terroranschlag von Manchester vor knapp zwei Wochen, als ein Selbstmordattentäter nach einem Konzert seine Bombe in einer Menschenmenge zündete und 22 Menschen mit in den Tod riss. Darunter waren viele Kinder und Jugendliche.