Debatte um Videoüberwachung Mehr Sicherheit durch mehr Kameras?
Berlin (dpa) - Berlin, U-Bahnhof Schönleinstraße gegen 02.00 Uhr in der Heiligen Nacht: Einige junge Männer versuchen, einen schlafenden Obdachlosen anzuzünden.
Seine Kleidung brennt bereits, als Passanten einschreiten und dem Opfer so wohl das Leben retten. Der brutale Angriff sorgt bundesweit für Entsetzen. Den raschen Durchbruch bei den Ermittlungen bringen Bilder einer Überwachungskamera, nach deren Veröffentlichung sich mehrere mutmaßliche Täter stellen.
Solche Bilder hätten sich viele Ermittler auch im Zusammenhang mit dem Terroranschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt am 19. Dezember gewünscht. Hätten sie so doch womöglich früher Ansatzpunkte dafür gehabt, dass der Tunesier Anis Amri der mutmaßliche Täter war. Doch im Unterschied zu Berliner U-Bahnhöfen sind öffentliche Plätze wie der Breitscheidplatz, wo der Attentäter mit einem Laster in den Markt raste und zwölf Menschen tötete, nicht mit Kameras überwacht.
Nun diskutiert Deutschland über das Für und Wider von mehr Videoüberwachung. Im Kern geht es dabei um die Frage: Können mehr Kameras mehr Sicherheit bringen? Und rechtfertigt dies einen derartigen Eingriff in Grundrechte eines jeden Bürgers?
Vor allem aus Union, SPD und AfD kommen Forderungen, öffentliche Straßen und Plätze besser elektronisch zu überwachen. Auch für die Bevölkerung in Deutschland scheint die Sache klar zu sein: Eine Mehrheit von 60 Prozent ist für mehr Videoüberwachung öffentlicher Räume, wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov für die Deutsche Presse-Agentur ergab. Datenschützer, aber auch Praktiker in Justiz und Polizei sehen das weit skeptischer.
„Es würden ganz überwiegend Personen überwacht, die selbst keinen Anlass dafür geben“, gibt der Chef des Deutschen Richterbundes, Jens Gnisa, zu bedenken. Die Bilder könnten vielfältig ausgewertet, bearbeitet und mit anderen Informationen verknüpft werden. „So könnten beispielsweise mit Hilfe von Gesichtserkennungssoftware Bewegungsprofile erstellt werden. Dies alles würde beim Bürger das diffuse Gefühl einer permanenten Überwachung und damit eine starke Beeinträchtigung der Lebensqualität hervorrufen“, meint der Direktor des Amtsgerichts Bielefeld.
Ähnlich argumentiert Berlins Datenschutzbeauftragte Maja Smoltczyk: „Mehr Videoüberwachung führt nicht automatisch zu mehr Sicherheit.“ Gerade Terroristen und irrational handelnde Einzeltäter, etwa unter Alkohol- und Drogeneinfluss, ließen sich durch eine Videoüberwachung nicht von schweren Straftaten abhalten.
Dies bestätigt auch Benjamin Jendro von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in der Hauptstadt. „Natürlich können Überwachungsbilder bei Ermittlungen helfen“, sagt er. „Aber viel wichtiger wäre es, mehr Polizei auf den Straßen zu haben. Denn viel mehr als Videoüberwachung schrecken Polizisten potenzielle Straftäter ab.“ Zudem wäre es aus Sicht des Praktikers hilfreich, im Kampf gegen Kriminalität und Terror bestehende Gesetze konsequent anzuwenden und das mögliche Strafmaß auch voll auszuschöpfen.
Im Land Berlin könnte sich die Debatte zu einer ernsten Belastungsprobe für Rot-Rot-Grün entwickeln. Denn das neue Regierungsbündnis hatte sich - auf Wunsch von Linken und Grünen - darauf verständigt, die Videoüberwachung nicht auszuweiten. Begründet wurde dies mit einem zweifelhaften Nutzen und der Einschränkung von Bürgerrechten. Doch nach dem Anschlag wächst der Druck. So fühlte sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) bemüßigt, dem Senat via „Bild am Sonntag“ Ratschläge zu erteilen: Dieser müsse seine Haltung zur Videoüberwachung „dringend“ überdenken.
Innensenator Andreas Geisel (SPD) bleibt bislang bei seiner Linie. Man wolle erst die Ermittlungen abwarten und dürfe jetzt nicht „aus dem Bauch heraus“ Entscheidungen mit weitreichenden Konsequenzen treffen. „Der Anschlag wäre durch Videoüberwachung nicht verhindert worden“, sagt der Senator. Aber: „Die Frage, die wir uns stellen, ist: hätte Videoüberwachung dazu geführt, die Fahndung zu verbessern. Das ist eine Debatte, die wir führen müssen.“