Analyse Merkel in der Zwickmühle - Platzt Schwarz-Rot?

Beirut (dpa) - Gibt es nun ein Ultimatum für Angela Merkel oder nicht? „Unsinn! Es gibt kein Ultimatum“, sagt CSU-Chef Horst Seehofer.

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Die Kanzlerin habe um zwei Wochen Zeit gebeten, um bilaterale Abkommen in der EU zur Zurückweisung von bereits registrierten Flüchtlingen an der Grenze zu erreichen. Und weil der CSU-Vorstand einen guten Stil pflege, habe er einer solchen Bitte entsprochen, so Seehofer. „Plötzlich wird eine Bitte der Kanzlerin zum Ultimatum von Horst Seehofer umgedeutet. Die Kanzlerin hat sich selbst eine Frist gesetzt“, stellt er klar.

Wenn die Kanzlerin in dieser Zeit „eine wirkungsgleiche europäische Lösung gelingt, brauchen wir keine nationale. Wenn nicht, bin ich entschlossen zu handeln“, legt Seehofer in der „Passauer Neue Presse“ (Freitag) nach. Er lasse sich seinen Masterplan Migration „nicht zusammenstreichen“. Mit 62 1/2 von 63 Punkten seines Planes habe die Kanzlerin auch kein Problem. „Bei dem ausstehenden halben Punkt wird aus einer Mickey Maus ein Monster gemacht.“

Solche Sprüche können das Tischtuch zwischen Merkel und Seehofer ganz zerschneiden, selbst wenn die politische Ratio die Chefs der beiden Unionsparteien immer wieder irgendwie zusammengehalten hat. Solche Nickeligkeiten zeigen aber auch, dass Seehofer die Drohung Merkels, nötigenfalls ihre Richtlinienkompetenz zu nutzen, um ihren Innenminister in die Schranken zu weisen, getroffen hat.

Seehofer warnt Merkel per Interview vor der Entlassung und vor einem Aus für die neue große Koalition. „Ich bin Vorsitzender der CSU, einer von drei Koalitionsparteien, und handele mit voller Rückendeckung meiner Partei. Wenn man im Kanzleramt mit der Arbeit des Bundesinnenministers unzufrieden wäre, dann sollte man die Koalition beenden“, sagte Seehofer. Die Kanzlerin ihrerseits fordert CDU und CSU in der ihr eigenen Art - aus dem Libanon - trocken auf, zur Sacharbeit zurückzukehren.

Merkel kämpft an vielen Fronten in diesen Schicksalstagen - sie ist in der Zwickmühle wie wohl noch nie in den bislang 13 Jahren ihrer Regierung. Da sind die rebellische CSU und die störrischen Partner in der EU. Ganz zu schweigen von den internationalen Problemen etwa mit US-Präsident Donald Trump und dessen Kurs gegen einen offenen Welthandel.

Seehofer und die meisten in der CSU-Spitze halten Merkels Flüchtlingspolitik schon lange für fatal und den entscheidenden Grund, warum die Rechtspopulisten von der AfD so stark geworden sind. In der CSU wird dieser Tage gerne die Parteiikone Franz Josef Strauß zitiert: „Rechts neben der Union darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben.“ Der Grundsatz sei noch immer gültig, heißt es. „Aber die Realität sieht leider anders aus. Ein Grund dafür ist das eigene Verhalten. Wir erleben seit 2015 einen dauerhaften Substanztransfer“, schreibt Bayerns CSU-Regierungschef Markus Söder in einem Gastbeitrag für die „Welt“.

Dem CSU-Chef Seehofer sitzt auch Söder im Nacken, der wie alle in der Partei um die absolute Mehrheit bei der Landtagswahl am 14. Oktober fürchtet. Es scheint fast so, als wollten die CSU-Granden um jeden Preis verhindern, dass Merkel bei ihren Verhandlungen um eine europäische Lösung für Zurückweisungen an deutschen Grenzen greifbare Fortschritte erreicht. Seehofer und Söder nölen quasi an jedem Schritt Merkels in diese Richtung herum. Will die CSU-Spitze Merkel einfach nur loswerden? Der Asylstreit könnte die Fraktionsgemeinschaft der Union im Bund tatsächlich zerstören, unkt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt im „Spiegel“.

Andererseits: Könnte Merkel nicht irgendwann genug haben und in dem Streit mit der kleinen schwarzen Schwester hinschmeißen? Nichts ist ausgeschlossen - aber ein solcher Schritt wäre doch eher untypisch für die Kanzlerin. Zumal sie in der vergangenen Woche in einer Sondersitzung die allermeisten CDU-Abgeordneten hinter sich versammelt hat. Und in der CDU gilt immer noch die Regel: versucht jemand, die „Chefin“ zu beschädigen, schließen sich die Reihen. Selbst wenn es in der eigenen CDU mehr als genug Unzufriedenheit mit Merkel gibt.

Und hat die Kanzlerin unterschätzt, wie sehr der Streit mit der CSU daheim die Reise nach Jordanien und in den Libanon überschattet? Zum Start hatte sie noch gedacht, es gebe kaum einen besseren Zeitpunkt für den Trip in die beiden Länder, die so sehr unter dem Syrienkonflikt mit den Millionen von Flüchtlingen zu leiden haben. Die Bilanz der Reise dürfte etwas anders ausfallen.

Von Beirut aus muss sie versuchen, den Wirbel um das Treffen einiger EU-Staaten zur Asylpolitik an diesem Sonntag in Brüssel zu entschärfen. Es handele sich um ein Beratungs- und Arbeitstreffen, bei dem es keine Abschlusserklärung geben wird. Und beim EU-Gipfel am 28. und 29. Juni werde es auf der Ebene der 28 Mitgliedsstaaten keine Lösung für das gesamte Paket der Migrationsfragen geben.

Immerhin ist inzwischen bei dem Thema Migration Bewegung in die EU gekommen. Nachdem sich die Regierungschefs der EU-Staaten anfänglich zurückhielten, haben inzwischen immerhin 16 für Sonntag ihr Kommen angemeldet. Offensichtlich sind sie doch neugierig geworden, was ihnen die Kanzlerin für bilaterale oder multilaterale Abkommen zur Rücknahme von Flüchtlingen anzubieten hat.

Und Seehofer sieht sich als Prinz, der „die Europäische Union wachgeküsst“ habe. Innerhalb von nur einer Woche gebe es plötzlich in Europa die Bereitschaft, sich zusammenzusetzen und die Probleme zu lösen. „So etwas habe ich noch nie erlebt.“ Doch die eigene Regierung im Bund vor dem Treffen in Brüssel vor schmutzigen Deals zu warnen, hat dann schon was Besonderes.

Inzwischen nimmt auch der Unmut über die CSU zu. Manche stellen sich die Frage, ob die Bayern eigentlich noch eine Exitstrategie parat haben aus diesem Schwesternstreit. Oder können sie ihrem Naturell nach nicht anders? Denn sollte die Kanzlerin tatsächlich stürzen, reißt sie womöglich noch einige mit.

In einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts YouGov ist angesichts der aktuellen Regierungskrise fast jeder zweite Deutsche für eine Ablösung der Kanzlerin - 43 Prozent. Doch mit 42 Prozent wünschen sich fast genauso viele Befragte, dass die CDU-Vorsitzende Regierungschefin bleiben soll.