Fragen und Antworten Zu viel Gülle und Nitrat: „Ohrfeige“ mit ungewissen Folgen

Brüssel (dpa) - Wenn Bauern im Frühjahr Gülle auf die Felder sprühen, sprießt bald das erste Grün. Allerdings mit Risiken und Nebenwirkungen. Nitrate aus überschüssigem Dünger sickern ins Grundwasser, in Bäche, Flüsse und ins Meer und werden zur Last für Mensch und Umwelt.

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Weil Deutschland dagegen jahrelang zu wenig unternahm, hat der Europäische Gerichtshof das Land am Donnerstag verurteilt - Umweltschützer sprechen von einer „Ohrfeige“. Die Nitratbelastung kann Folgen haben für Bauern, Bundesregierung und Trinkwasserpreise - doch ein entscheidender Faktor ist unbekannt.

Was hat der EuGH entschieden?

Weil an zu vielen Stellen in Deutschland zu hohe Nitratwerte in Grundwasser und Oberflächengewässern gemessen wurden, hat die EU-Kommission die Bundesregierung 2016 verklagt. Sie warf ihr einen Verstoß gegen EU-Recht vor. Die Brüsseler Behörde hatte Deutschland zuerst abgemahnt, kam aber zu dem Schluss, dass Berlin trotzdem zu wenig gegen die Verunreinigungen durch Nitrate unternahm - und bekam nun vom Europäischen Gerichtshof Recht. Allerdings bezog das Urteil sich auf den Stichtag 11. September 2014, seitdem hat sich was getan. Unmittelbare rechtliche Folgen hat das Urteil nicht.

Warum ist Nitrat ein Problem?

Pflanzen brauchen Nitrat für ihr Wachstum, und der Stoff ist für den Menschen auch erstmal ungefährlich. Durch chemische Zerfallsprozesse können daraus aber gesundheitsgefährdende Nitrite entstehen. Auch Darmbakterien wandeln Nitrat in Nitrit um. Zu viel Nitrit im Körper wiederum kann Durchblutungsstörungen verursachen, bei Säuglingen wird die Sauerstoffversorgung der Zellen geschädigt. Zudem können unter Einwirkung der Magensäure aus Nitriten krebserregende Nitrosamine werden. Wegen der Risiken gibt es EU-Grenzwerte: Eine Konzentration von über 50 Milligramm Nitrat pro Liter Wasser gilt als bedenklich.

Wie groß ist das Problem in Deutschland?

Man muss unterscheiden: Im Trinkwasser werden die Grenzwerte bis auf wenige Einzelfälle eingehalten, man kann es bedenkenlos trinken. Anders ist es beim Grundwasser. An 28 Prozent der Messstellen in Deutschland wurden laut einem Bericht von 2016 mehr als 50 Milligramm Nitrat gemessen. Und Grundwasser ist das wichtigste Reservoir für Trinkwasser. Wenn es zu viel Nitrat enthält, müssen Wasserversorger es filtern oder verdünnen, oder die Brunnen müssen tiefer werden. Das ist teuer - letztlich für die Verbraucher, denn es drohen höhere Wasserpreise. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft gehört zu den drängendsten Mahnern, das Düngen einzuschränken.

Was hat die Bundesregierung dagegen unternommen?

Die EU-Nitratrichtlinie verpflichtet Staaten zu Aktionsprogrammen, wenn Grenzwerte nicht eingehalten werden. Die EU-Kommission kam aber vor ihrer Klage zu dem Schluss, dass das deutsche Programm zu lax war und auch nicht genug nachgeschärft wurde. Nach Einreichung der Klage 2016 setzte die Bundesregierung nach langem Gezerre strengere Regeln fürs Düngen in Kraft, die seit rund einem Jahr gelten. Dazu zählen längere Zeiten mit Düngeverboten, größere Abstände zu Gewässern und größere Gülle-Speicher.

Ist das Problem damit für Deutschland vom Tisch?

Juristisch vorerst schon. Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) sucht jetzt das Gespräch mit Brüssel. Die EU-Kommission wird das Urteil auswerten und muss entscheiden, ob sie weiter gegen Deutschland vorgeht. Erst mal drohen aber keine Strafzahlungen, erklärte Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth. „Wenn die Kommission zu dem Ergebnis käme, es ist immer noch nicht ausreichend, dann müsste sie ein völlig neues Vertragsverletzungsverfahren aufsetzen, das wieder bei Null anfängt.“ Ob das neue Düngerecht dem EU-Recht entspricht, ist umstritten - Umweltschützer und Wasserversorger sagen, es reiche nicht. Klöckner dagegen verteidigte die neuen Regeln erst mal.

Kann man das nicht einfach an den Nitrat-Messwerten ablesen?

Offiziell wird erst 2020 wieder überprüft, ob sich die Messwerte bessern. „Es gibt diese Daten eben einfach noch nicht“, sagte Flasbarth, vielleicht auch im kommenden Jahr noch nicht. Es dauere auch eine Weile, bis überschüssige Nährstoffe vom Boden ins Grundwasser gelangten. Ob die neue Düngerverordnung ausreiche, hänge auch von den Bundesländern ab, erläuterte Flasbarth: In sogenannten Hotspots mit großer Belastung sei den Ländern ausdrücklich auferlegt, aus einem „Menü von Maßnahmen“ etwas auszuwählen, etwa noch größere Abstände zu Gewässern oder weitere Einschränkungen für die Bauern.