Analyse Bayerns Wahlkampf und Berlins Ärger: 100 Tage Söder
München (dpa) - Zugegeben, knapp 100 Tage nach seiner Wahl zum bayerischen Ministerpräsidenten ist Markus Söder seinem großen Ziel noch nicht wirklich nähergekommen.
Obwohl die CSU ihren Sinkflug stoppen und sich bei Umfragewerten um die 40/41 Prozent einpendeln konnte, ist die Verteidigung der absoluten Mehrheit bei der Landtagswahl am 14. Oktober nach wie vor in weiter Ferne.
Was liegt da näher, als die eigene Reichweite weit über die Landesgrenze hinaus auszudehnen? Das hat in den vergangenen Tagen im Asylstreit von CDU und CSU nicht nur Kanzlerin Angela Merkel zu spüren bekommen.
Über mangelnde Aufmerksamkeit kann sich der Mann, in dessen Büro in der Staatskanzlei ein überlebensgroßes Bild der Mondlandung hängt, schon lange nicht beklagen. Im Wettstreit mit langjährigen Ministerpräsidenten und Bundespolitikern kann Söder auf seinen Markenkern vertrauen - er ist medial omnipräsent, bezieht klare Kante, provoziert viel und streitet auch in Talkshows gerne.
Nachdem Söder sich in den Wochen vor seinem Amtsantritt am 16. März bewusst mit polarisierenden Äußerungen zurückhielt, ist er im Asylstreit wieder in seinem Element angekommen. Nicht nur in Interviews hat er sich neben Parteichef Horst Seehofer und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt zu einem der Protagonisten im erbitterten Machtkampf mit Merkel und der CDU über die Neuordnung der deutschen sowie europäischen Zuwanderungspolitik gemausert.
Auch parteiintern und über die Grenzen Deutschlands hinaus ist die Meinung des CSU-Spitzenkandidaten für die Landtagswahl von besonderer Bedeutung. Denn nicht nur Söder und Seehofer wissen ganz genau, dass der Ausgang des Streits entscheidenden Einfluss auf den Ausgang der Wahl im Herbst haben wird. Im Gegenzug versuchen auch Merkel-Kritiker wie jüngst Österreichs Kanzler Sebastian Kurz, in der europäischen Debatte Söders Popularität und Meinung für ihre Zwecke auszunutzen.
Solange er einen eigenen Vorteil darin sieht, hat Söder damit kein Problem. Im Gegenteil. Einen direkten Zusammenhang mit der Wahl und der Asyldebatte weist Söder zudem kategorisch von sich. Ihm bereite nicht eine einzelne Wahl Sorge, sagte er am Donnerstag im ZDF. Er mache sich Sorgen um die Demokratie in Deutschland.
„Die Wahl wird eine sehr bewusste Entscheidung“, sagte Söder der Deutschen Presse-Agentur zur aktuellen Verquickung von bundespolitischer und landespolitischer Lage. Obwohl er zu Beginn seiner Amtszeit immer wieder betonte, keinen Wahlkampf gegen Berlin führen zu wollen, werde die CSU im Wahlkampf mit dem Finger auf die Bundespolitik zeigen: Die Frage laute dann: „Welches Politikmodell will man unterstützen? Das bayerische oder das Berliner?“. Berlin stehe letztlich nur für ein blockierendes Koalitionssystem.
Auf landespolitischer Ebene kann man Söder in seinen ersten 100 Tagen als Ministerpräsident ebenfalls kein mangelndes Engagement vorwerfen. Der 51-Jährige gönnt weder sich noch seiner Partei oder seinen Kritikern Verschnaufpausen. Stolze 100 Einzelpunkte kündigte er in seiner ersten Regierungserklärung an. „Ich glaube die Umsetzungsgeschwindigkeit ist die höchste, die es seit vielen Jahren in Bayern gibt“, sagt er nicht ohne Stolz. Und fernab der persönlichen Wertung über die Inhalte dürfte dies auch die Opposition nicht bestreiten.
Tatsächlich vergeht seit Mitte März kaum eine Woche, in der Söders ansonsten eher unauffällig agierendes Kabinett nicht neue Beschlüsse fasst, die dank der milliardenschweren Rücklage des Freistaats auch gerne ins Geld gehen dürfen. Söder: „Es ist auch wichtig, dass die Leute merken, dass was passiert.“
Rund eine Milliarde Euro - entnommen aus der bestens gefüllten Staatskasse - stehen für Söders Initiativen und Ideen zur Verfügung: Und dies sollen bis zum Wahltag auch die Menschen im Land spüren. Nicht nur im eigenen Portemonnaie wenn ab September das neue Familien- und Pflegegeld ausgezahlt wird. Oder - und da schließt sich wieder der Kreis zum bundespolitischen Streit mit der Kanzlerin - durch noch weiter rückläufige Asylbewerberzahlen beziehungsweise steigende Abschiebezahlen infolge des landeseigenen Asylplans inklusive neuer Grenzpolizei und eigenen Abschiebeflügen.
„Ich versuche zu zeigen, dass wir Macher statt bloße Mahner sind“, sagt Söder zu seiner Strategie. In diese einkalkuliert sind auch seine Kritiker. Einzig die Reaktionen auf seinen Kreuzerlass für alle Foyers der Landesbehörden haben selbst Söder auf dem falschen Fuß erwischt: Als er im Blitzlichtgewitter der Kameras vor einigen Wochen ein Kruzifix an eine Wand in der Staatskanzlei nagelte, hagelte es von hohen Kirchenvertretern massive Kritik. Doch spätestens seit Söders anschließender Audienz bei Papst Franziskus und dessen Vorgänger Benedikt XVI. im Vatikan ist auch diese Debatte durch.
Die Oppositionsfraktionen werfen Söder unisono leere Versprechungen, Luftnummern, Blendwerk, Schall und Rauch vor. Doch SPD, Freie Wähler und Grüne haben bislang noch kein Mittel gegen ihn gefunden - trotz verbaler Angriffe, eines Söder-kritischen Untersuchungsausschusses im Landtag sowie Klagen gegen das umstrittene Polizeiaufgabengesetz. Hinzu kommt, dass mehr als die Hälfte der Bayern in Umfragen Söder eine gute Arbeit bescheinigen.
Entsprechend selbstbewusst gibt dieser sich: „Ihr Vorwurf: Der macht, was er sagt. Ich sehe das als Lob. Und dann: Wir geben Geld für die einheimische Bevölkerung aus. Dazu stehe ich auch.“ Bei aller zur Schau gestellten Gelassenheit ist Söder aber auch klar: Ob er und die CSU die Wahl gewinnen werden, entscheidet sich am Ende nicht in Bayern, sondern an der Lösung der Asylfrage in Brüssel und Berlin. Und das dürfte den Kontrollmenschen Söder gar nicht freuen.