Missverständnis oder gezielter Tabubruch? Trump löst Beben aus
Washington (dpa) - Donnergrollen und heftige Stürme sind im Sommer an der US-Ostküste vertraute Phänomene. Jetzt packte aber ein politisches Beben die Hauptstadt Washington.
Donald Trump hatte mit einer mehrdeutigen Bemerkung im Wahlkampf die Möglichkeit eines Angriffs auf seine Kontrahentin Hillary Clinton ins Spiel gebracht - zumindest fassten das viele so auf. Ein neues Niveau der politischen Schlammschlacht war am Mittwoch erreicht, so tief, dass Trumps Rückhalt in der eigenen Partei infrage steht.
Ein missratener Witz, wie der Republikaner Paul Ryan, innerparteilicher Kritiker von Trump, oder auch New Yorks früherer Bürgermeister Rudy Giuliani glauben machen wollen? Oder eine gezielte Zweideutigkeit, ein strategischer Tabubruch, den Trump da in Wilmington, im schwer umkämpften und für einen republikanischen Wahlsieg dringend benötigten Bundesstaat North Carolina beging?
Es ging um das Recht der Amerikaner, Waffen zu tragen, verankert im zweiten Verfassungszusatz. Die Demokraten um Präsident Barack Obama und Hillary Clinton versuchen, das Recht enger zu fassen. Zu viel ist passiert in den vergangenen Jahren, die Serie von Amokläufen in US-Schulen, Universitäten und anderen Plätzen spricht Bände.
Die meisten Täter hatten sich ihre Mordwaffen völlig legal beschafft. Die Republikaner pochen dennoch - unterstützt von der mächtigen Waffenlobby - auf die Unantastbarkeit des verfassungsmäßigen Rechts, nicht einmal geringste Änderungen wollen sie zulassen.
Clinton wolle den zweiten Verfassungszusatz abschaffen, in dem das Recht auf Waffenbesitz verankert ist, sagte Trump in Wilmington (North Carolina). Auf dem Parteitag der Demokraten in Philadelphia hatte sie das klar verneint. Trump stört das nicht: Als Präsidentin wäre sie dabei nicht aufzuhalten, da sie entsprechende Richter für den Obersten Gerichtshof nominieren könne, sagte er und fügte hinzu: „Da kann man nichts machen, Leute. Obwohl - (es gibt da) die Leute des Zweiten Verfassungszusatzes, vielleicht gibt es doch etwas (das man tun kann). Ich weiß es nicht.“
„Es ist zu bezweifeln, dass er seine Gefolgsleute tatsächlich auffordert, Hillary Clinton zu ermorden“, sagt die Politologin Amanda Friesen von der Universität Indianapolis, die sich unter anderem mit politischem Benehmen befasst. „Aber er beweist erneut, dass er die Spielregeln nicht versteht.“
Billige Witze wie diese seien in einer entwickelten Demokratie nicht akzeptabel. „Viele führen heute die Ermordung der britischen Abgeordneten (Jo Cox) in der Brexit-Debatte oder die Schüsse auf die US-Abgeordnete Gabby Giffords an“, sagt Friesen der Deutschen Presse-Agentur. „Dies ist nicht lustig.“
Giffords selbst äußerte sich bestürzt über Trump. Bernice King, Tochter des legendären Bürgerrechtlers Martin Luther King, verurteilte die Äußerungen als „verstörend und gefährlich“.
Trump ist innerhalb der vergangenen Wochen in eine ganze Reihe von Fettnäpfchen getreten. Schon mit der Kritik an den Eltern eines getöteten US-Soldaten muslimischen Glaubens hatte er eine rote Linie überschritten, in den Augen von Parteifreunden einen Krieg begonnen, den er unmöglich gewinnen konnte.
Mit seiner neuesten Äußerung ist Trump in den Augen vieler noch einen Schritt weiter gegangen. Spin-Doktoren verbrachten Stunden damit, eine plausible Erklärung für das Unerklärbare zu entwickeln. Der politische Gegner entrüstete sich - teils echt, teils gekünstelt - über die Worte.
Der Secret Service, zuständig für den Personenschutz des Präsidenten und auch der Kandidaten, ließ wissen, man habe die Äußerungen vernommen. Elizabeth Warren, Linksaußen bei den Demokraten, twitterte süffisant. „Er ist ein erbärmlicher Feigling und kann schlicht nicht damit umgehen, dass er gegen ein Mädchen verliert.“
In den USA wird inzwischen eine andere Frage gestellt: „Kann Trump überhaupt noch Präsident werden? Andere gehen noch weiter: „Will Trump überhaupt noch Präsident werden?“ Einen Teil seiner Anhängerschaft mag er mit ständigen Grenzüberschreitungen erreichen, die zum Sieg aber auch nötigen Wählerschichten in der politischen Mitte wenden sich ab. Andererseits: Trump hat in Umfragen „nur“ zehn Punkte Rückstand auf Clinton, liegt im wichtigen Swing State Florida auf Schlagdistanz.
Viele Republikaner haben dennoch einen Sieg über Hillary Clinton längst abgeschrieben. Die ersten am 8. November ebenfalls zur Wahl stehenden Senatoren distanzieren sich öffentlich von ihm. Trump selbst weiß, dass er sich im Falle eines Sieges nicht nur mit den Demokraten, sondern auch mit großen Teilen seiner eigenen Partei anzulegen hätte.
„Die republikanische Partei muss nun schnell die Optionen abwägen, um den Kandidaten loszuwerden“, schreibt der omnipräsente TV-Moderator und frühere republikanische Kongressabgeordnete Joe Scarborough. Nach geltendem Regelwerk der Republikaner müsste dazu aber wohl Trump selbst einen Rückzieher machen.