Nach dem 26-Stunden-Poker: „Die Mühe hat sich gelohnt“

Brüssel (dpa) - Den fast 26-stündigen Verhandlungsmarathon merkte man Angela Merkel kaum an. Gut gelaunt präsentierte die Kanzlerin am späten Freitagnachmittag den mühsam in Brüssel ausgehandelten Finanzkompromiss.

„Die Mühe hat sich gelohnt“, stellt die deutsche Regierungschefin gleich zu Beginn ihrer Pressekonferenz klar. Und räumte ein, dass Deutschland dafür auch einen Beitrag leisten und alte Positionen über Bord werfen musste.

Unterm Strich kann Merkel mit dem Deal aber zufrieden sein: nicht nur, weil eine Einigung aller 27 EU-Staaten auf ein Sieben-Jahre-Budget gelang. Aufreibende, alljährlich neue Haushaltsabstimmungen sind so vom Tisch. Vor allem konnte Berlin weitere Einsparungen durchsetzen und die Ausgaben wie gefordert bei 1,0 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung begrenzen. Vorausgesetzt, am Ende stimmt auch das nach wie vor äußerst skeptische EU-Parlament zu.

Auch aus einem anderen Grund kann Berlin vorerst aufatmen. Gerade hat sich die Lage in der Euro-Zone trotz der Zypern-Krise ein wenig beruhigt. Da hätten neue Zweifel an der Handlungsfähigkeit Europas das nur langsam wiederkehrende Vertrauen in die Währungsunion wieder gestört. Schließlich kann die Kanzlerin und CDU-Chefin zumindest dieses unpopuläre Thema aus dem heimischen Wahlkampf heraushalten.

Dabei schien noch am Donnerstagnachmittag die Sache völlig verfahren. Der britische Premier David Cameron, der - ganz ambitionierter Sparmeister - zu Fuß zum Ratsgebäude kam, drohte offen mit einem Scheitern. Kurz vor Beginn des zweitägigen Gipfels tönte er, das Treffen platzen zu lassen, sollten sich die EU-Partner nicht zu weiteren Kürzungen durchringen. Auch Frankreichs Präsident François Hollande gab sich zum Auftakt betont kämpferisch: Er werde keinen Etat billigen, der nicht klar auf Wachstum in der EU setze.

Entsprechend zurückhaltend war Merkel. Angesichts „doch noch weit auseinander“ liegender Positionen schloss sie lange ein Scheitern nicht aus. Fast 26 Stunden - die ganze Nacht hindurch - feilschte sie im ungemütlichen Justus-Lipsius-Gebäude um Rabatte, Obergrenzen, Geld für Landwirte und Fördermittel für weniger entwickelte Regionen.

Immer wieder wurde der Zeitplan über den Haufen geworfen. Mal verhandelten die „Chefs“ in dem klobigen EU-Zweckbau in kleiner Formation, mal in der „Elefantenrunde“ maßgeblicher Geberländer und dann wieder im offiziellen 27er Kreis. Wie schon im November konnte Merkel in die Rolle der moderaten Mittlerin schlüpfen - nicht nur zwischen „armen“ und „reichen“ Ländern, sondern auch unter den zerstrittenen Geberländern sowie zwischen EU-Kommission, kritisch gestimmtem Parlament und dem Gipfelchef, EU-Ratspräsident Herman van Rompuy.

Noch beim ersten Anlauf vor mehr als zwei Monaten hatte die gipfelerprobte Strippenzieherin Verständnis für die Kürzungswünsche der Briten gezeigt und auffällig fest an der Seite Camerons gestanden. Das war vor dessen umstrittener Europarede. Vom einst viel beschworenen deutsch-französischen Tandem war da nicht viel zu spüren. Was sich beim zweiten Einigungsversuch änderte: Jetzt war von „einer Ebene“ mit Paris und „gleicher Grundausrichtung“ die Rede.

Enttäuschungen im eigenen Land hatte die schwarz-gelbe Bundesregierung schon vor dem Brüsseler Billionen-Poker vorgebaut. Die deutsche Nettozahlerposition werde sich am Ende verschlechtern, hatte es geheißen. Im Klartext: Deutschland wird zwischen 2014 und 2020 mehr Geld nach Brüssel zahlen und weniger an Fördermitteln aus Subventionstöpfen zurückerhalten.

Vom aktuellen Finanzrahmen von knapp 1000 Milliarden Euro trägt Deutschland als größter Nettozahler etwa 20 Prozent. Zuletzt wurden neun Milliarden Euro mehr überwiesen als an Geld zurückfloss. Dieser Nettobetrag wird steigen, auch weil die deutsche Wirtschaft robust dasteht und strukturschwache Regionen etwa in Ostdeutschland dshalb weniger Hilfsmilliarden aus Brüssel erhalten. Für den Wegfall der Höchstförderung bei Strukturfondsmitteln soll es aber ein „Sicherheitsnetz“ geben, zu große „Brüche“ sollen vermieden werden, beruhigt Merkel vor allem ostdeutsche Ministerpräsidenten.

Die Mehrbelastungen für Deutschland werden sogar steigen: weil zum beschlossenen Finanzrahmen noch ein jährlicher Inflationsaufschlag von zwei Prozent hinzukommt. Für die Kanzlerin ist es das wert: Die Mehrbelastungen sieht sie in der Krise als Akt der Solidarität von Europas stärkster Volkswirtschaft.