Analyse Nahles' kniffliges Kabinetts-Puzzle
Berlin (dpa) - Bloß kein neues Kommunikationsdesaster: Nach dem Debakel mit dem tief gefallenen Martin Schulz soll es diesmal anders laufen.
„Ausgeschlossen, das machen wir nicht“, sagt die designierte SPD-Chefin Andrea Nahles auf die Frage, ob schon am Sonntag, nach der Bekanntgabe des Mitgliedervotums über die große Koalition, auch die Ministernamen der SPD veröffentlicht würden. Gegenüber der misstrauischen Basis soll partout der Eindruck vermieden werden, es gehe primär um Posten und Dienstwagen, nein, es seien die Inhalte. Nahles will die Liste daher über den Sonntag hinaus noch ein paar Tage geheimhalten.
Nach bisheriger Planung sollen die Kanzlerin und die Minister am 14. März vereidigt werden. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil warf CDU-Chefin Angela Merkel schlechten Stil vor, weil sie schon vor Bekanntgabe des Votums der SPD-Mitglieder die CDU-Minister benannt habe. Dabei hatte die SPD 2013 genau das gleiche getan. Noch bevor damals das Ergebnis bekannt war, waren die SPD-Namen durchgesickert.
Trotz aller Geheimniskrämerei enthält das Puzzle von Nahles schon jetzt ein paar Teile, die klar sind. Auch wenn es Spekulationen sind, sieht der Status quo auf Basis von Gesprächen mit SPD-Leuten im Moment so aus:
AUßEN: Das war der Traumjob des Europaexperten Martin Schulz. Er wollte dafür Sigmar Gabriel, den laut Umfragen beliebtesten SPD-Politiker, rauskegeln. Das Ergebnis ist bekannt: Nach seinem Rücktritt als SPD-Chef wurde Schulz mit 44 Stunden der kürzeste Fast-Außenminister. Nach einem Proteststurm an der Basis wegen seiner früheren Aussage, niemals in ein Kabinett Merkels einzutreten, verzichtete er. Da es sich Gabriel immer wieder mit Nahles verscherzt hat, weil er Schulz per Interview beleidigt hat („Mann mit den Haaren im Gesicht“) und nicht als Teamspieler gilt, könnte er draußen sein; Teamfähigkeit hat Nahles als ein Eignungskriterium benannt. Als Kandidaten gelten der bisherige Justizminister Heiko Maas (51) und die selbst ernannte „Universalwaffe“ der SPD, Familienministerin Katarina Barley (49); sie sind gesetzt für das Kabinett. Als Geheimtipp gehandelt wird Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann.
FINANZEN: Das Schlüsselressort und Machtinstrument (hier wird das Geld verteilt) soll Hamburgs Regierungschef Olaf Scholz übernehmen - er sagt das aber noch nicht offiziell. Er wäre dann auch Vizekanzler. Scholz gilt als der beste Verhandler der SPD und hat ein professionelles Umfeld. Seit langem verfügt er über einen guten Draht zu Nahles, die bewusst nicht in das Kabinett geht, und weiter die Fraktion im Bundestag führen wird. Das gibt ihr mehr Beinfreiheit, auch für die geplante Erneuerung der Partei. Scholz dürfte so manchen Akzent setzen und Profil gewinnen. So wie der letzte „rote“ Finanzminister, Peer Steinbrück, mit dem Merkel die Finanzkrise meisterte, während der damalige Arbeitsminister Scholz mit den Kurzarbeitsregelungen 1,7 Millionen Jobs rettete. Das Amt könnte eine Bühne bieten, um Merkel die Show zu stehlen - und um eine Kanzlerkandidatur vorzubereiten.
ARBEIT UND SOZIALES: Das Ressort war für die SPD in den Verhandlungen mit Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer nicht verhandelbar. Da die SPD - mit einem Wahlergebnis von 20,5 Prozent - auch noch auf die anderen Schlüsselressorts Außen und Finanzen bestand, ging es in der letzten Verhandlungsnacht zwölf Stunden nur um die Ressorts, zeitweilig stand sogar eine Aufspaltung des Arbeits- und Sozialministeriums im Raum. Am Ende lenkte die Union ein. Neben Maas und Barley könnte auch der Niedersachse Hubertus Heil (45) ein Kandidat für das Ministerium mit dem größten Einzeletat sein - mit den Ausgaben für Renten und Arbeitsmarkt werden rund 130 Milliarden Euro im Jahr ausgegeben.
JUSTIZ: Amtsinhaber Maas könnte weitermachen - wenn er nicht in das Außenressort oder in das Arbeits- und Sozialministerium wechselt. Mit seiner klaren Kante gegen die AfD und die Pegida-Bewegung ist er zum Feindbild der rechten Szene geworden, Auftritte zum Beispiel in Sachsen waren im Bundestagswahlkampf nur noch mit massivem Polizeischutz möglich. Er ist mit der Schauspielerin Natalia Wörner liiert. Da aber drei Frauen von der SPD in das Kabinett geschickt werden sollen, gilt auch die Bundestagsabgeordnete Eva Högl als eine Kandidatin. In der SPD weiß man, dass der Besetzung nicht nur wegen der Herausforderungen zum Beispiel durch Hetze im Netz große Bedeutung zukommt. Da das Innenressort mit Seehofer besetzt wird, sind hier Reibereien zwischen den beiden Ressorts vorprogrammiert.
UMWELT: Mit dem Verlust der Bauabteilung an das Innenressort und Peter Altmaier im Wirtschaftsressort, der dort die Energiewende zu seiner Chefsache machen dürfte, droht dem Umweltressort ein Bedeutungsverlust. Dabei sind die großen Themen Atomausstieg und Endlagersuche zu meistern - und das Megathema Klimawandel. Dazu wird auch ein Kohleausstieg und ein Klimaschutzgesetz gehören. Kurzum: viel Spielraum zum Gestalten. Amtsinhaberin Barbara Hendricks würde weitermachen - wenn man sie denn lässt. Stichwort Erneuerung: Als ministrabel gilt zum Beispiel auch der Parteilinke und Umweltexperte im Bundestag, Matthias Miersch (49) aus Niedersachsen.
FAMILIE: Da Barley aufsteigen dürfte in ein anderes Ressort, könnte jemand neues das Ministerium an der Glinkastraße 24 übernehmen. Wenn Hendricks aus dem Kabinett ausscheidet, müsste aus Proporzgründen eigentlich jemand anderes aus Nordrhein-Westfalen, dem mit Abstand größten SPD-Landesverband, zum Zuge kommen. Eine Kandidatin könnte Christina Kampmann (37) sein, die von 2013 bis 2015 im Bundestag saß, bevor sie in der damaligen rot-grünen Landesregierung von 2015 bis 2017 Familienministerin in NRW war.
Als Überraschungskandidaten aus Ostdeutschland, wo die SPD besonders starke Verluste zu verkraften hat, gilt zum Beispiel Franziska Giffey, in Frankfurt/Oder geboren und aktuell Bezirksbürgermeisterin in Berlin-Neukölln. Spekuliert wird auch immer wieder über einen Kabinettsposten für Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig. Wer Nahles kennt, weiß: Sie ist am Ende immer für eine Überraschung gut.