Richter brauchen mehr Zeit Noch ist der Diesel im Spiel

Leipzig (dpa) - Die Luft ist klar an diesem Tag in Leipzig. Die Sonne strahlt, der Himmel ist blau. Vor dem mächtigen Sitz des Bundesverwaltungsgerichts stehen Greenpeace-Demonstranten mit einem großen Transparent: „Saubere Luft ist nicht verhandelbar.“

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Drinnen im riesigen, voll besetzten Verhandlungssaal sitzt Jürgen Resch erwartungsfroh und lächelt in die Kameras, der „Schrecken“ der Autoindustrie. Auf diesen Tag hat der Chef der Deutschen Umwelthilfe lange hingearbeitet.

Das oberste Verwaltungsgericht verhandelt am Donnerstag darüber, ob Diesel-Fahrverbote in Städten nach geltendem Recht zulässig sind. Es wird dann aber doch kein Tag des Triumphes für Resch - das Gericht vertagt seine Entscheidung auf den nächsten Dienstag (27.2.).

Es geht um ein Urteil, das massive Auswirkungen haben könnte - und auch der künftigen Bundesregierung mächtig Dampf machen dürfte. Die Kernfrage lautet: Dürfen Städte Fahrverbote für schmutzige Diesel nach geltendem Recht eigenständig anordnen? Für viele Kommunen und die Autohersteller ist das ein Schreckensszenario. Das Image des Diesel ist sowieso schon am Boden.

Vier Stunden lang, länger als geplant, geht es mit Argumenten im Saal hin und her. „Rechtsgespräch“ nennen das die Verwaltungsjuristen. Staubtrocken aber geht es nicht zu, ganz im Gegenteil: Man spürt auch Emotionen. Remo Klinger, Anwalt der klagenden Deutschen Umwelthilfe (DUH) sagt, die Schadstoff-Grenzwerte müssten nun endlich eingehalten werden, es gehe vor allem um die Opfer. „Es geht um die Gesundheit der Menschen, es geht um 12 860 vorzeitige Todesfälle. Deswegen sollte es uns wert sein, dass wir klare Verhältnisse schaffen und eben schmutzige Dieselfahrzeuge aus den Städten heraushalten“, betont Resch.

Erst einen Tag vorher gibt das Umweltbundesamt bekannt: Rund 6000 Menschen in Deutschland sterben laut einer Studie pro Jahr vorzeitig an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die von Stickoxiden ausgelöst werden. Diesel sind die Hauptursache. Zwar ist die Belastung zuletzt etwas gesunken. Immer noch aber werden die Grenzwerte in knapp 70 Städten überschritten - am stärksten in München, Stuttgart und Köln. Seit Jahren laufen Klagen der Deutschen Umwelthilfe (DUH), viele in der Autobranche schimpfen über die DUH als „Abmahnverein“.

Vor den Verwaltungsgerichten in Stuttgart und Düsseldorf hatte die DUH Siege errungen. Die Gerichte verurteilten die zuständigen Behörden dazu, die Luftreinhaltepläne so zu verschärfen, dass die Grenzwerte eingehalten werden. Dabei seien auch Fahrverbote in Betracht zu ziehen, für bestimmte, stark belastete Strecken oder für Umweltzonen.

Dagegen aber gingen die Länder Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen in eine sogenannte Sprungrevision. Das Hauptargument: nach geltendem Recht könnten Städte Fahrverbote in Eigenregie gar nicht anordnen - dafür wäre eine bundeseinheitliche Regelung nötig.

Und so landet der Fall in Leipzig. Das Medieninteresse ist riesig, als der Vorsitzende Richter des 7. Senats, Andreas Korbmacher, die Verhandlung am Vormittag eröffnet. Schritt für Schritt lässt er in dem Rechtsgespräch die Kernfragen erörtern: zwingt das Europarecht, das ganz klar die Einhaltung der Grenzwerte fordert, zu Fahrverboten? Wie wären diese mit dem geltenden nationalen Recht vereinbar, das sich vor allem im Wortungetüm „Bundesimmissionsschutzgesetz“ findet?

Es geht um die Frage, welche Zusatz-Verkehrszeichen notwendig wären, wenn es zu Fahrverboten käme. Die Länderseite bezweifelt, dass die Polizei Fahrverbote überhaupt kontrollieren könne. DUH-Anwalt Klinger kontert: Dann könne man ja auch den Tatbestand Fahren ohne Führerschein oder Alkohol am Steuer abschaffen.

Viel Zeit nimmt die Frage in Anspruch, ob Fahrverbote verhältnismäßig seien. Was kann ein Diesel-Fahrer dafür, wenn er vor drei Jahren einen Diesel gekauft hat - mit dem er womöglich bald nicht mehr in Innenstädte kommt. Massive Wertverluste drohen. Dann müsse der Staat die Betroffenen entschädigen, sagt DUH-Anwalt Klinger. An diesem Punkt aber zeigen sich Zweifel beim Gericht. Der Vorsitzende Richter spricht von der Notwendigkeit einer „rechtssicheren Entschädigung„.

Klageführer Resch ist unerbittlich in diesem Punkt und zeigt auf die Autoindustrie. Nachrüsten sei mit einem verhältnismäßig geringen Betrag möglich, betont er. „Wir meinen, dass die Automobilindustrie endlich erklären muss, dass sie diesen Autohaltern hilft - und damit ist das Problem entsprechend gelöst.“ Die dann noch verbleibenden Kosten pro Fahrzeug von 1400 bis 1500 Euro seien nicht unverhältnismäßig.

Wie könnte das Gericht am kommenden Dienstag entscheiden? Da gehen die Meinungen auseinander. Resch ist nach dem Rechtsgespräch „deutlich optimistischer, denn der Senat hat doch relativ stark unsere Argumente aufgegriffen“. Vor allem habe das Gericht zum Ausdruck gebracht, „dass sich Deutschland blamieren würde mit dieser Rechtsposition vor dem Europäischen Gerichtshof“. Er ist überzeugt: „Die „blaue Plakette“ kommt natürlich.“

Eine Entscheidung für städtische Fahrverbote würde die Bundesregierung dazu zwingen, den Städten und Ländern dabei zu helfen, eine einheitliche Regelung zu schaffen. Auch Baden-Württemberg drängt auf eine „blaue Plakette“.

Anders klingt das naturgemäß bei Heinrich Bottermann, Staatssekretär im NRW-Umweltministerium: „Wir sind unserer Rechtsauffassung ein ganzes Stück näher gekommen.“ Die Landesregierung werde unabhängig von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts weiter daran arbeiten, Fahrverbote zu verhindern - zum Beispiel, indem der Nahverkehr (ÖPNV) verbessert werde oder Radwege ausgebaut werden. Ziel sei es, bis 2020 die Grenzwerte einzuhalten.

Egal, was das Bundesverwaltungsgericht am Dienstag entscheidet - in Leipzig selbst sind keine Diesel-Fahrverbote zu befürchten. Die Messestadt hält die gesetzlichen Schadstoff-Grenzwerte ein.