Viele Effekte unberücksichtigt November-Schätzung: Makulatur schon bei der Vorlage

Berlin (dpa) - Über die Trefferquote der Steuerschätzungen wird seit Jahren gelästert. Aber selten war eine Einnahmeprognose schon bei ihrer Vorlage dermaßen überholt, wie diese November-Schätzung.

Denn die Effekte etlicher Gesetzesvorhaben und Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern mit Auswirkungen in Milliardenhöhe wurden in dem am Freitag präsentierten Zahlenwerk noch nicht berücksichtigt - und machen es schon zu Makulatur.

Zu nennen sind nicht nur geplante Steuerreformen und -entlastungen nach der Bundestagswahl 2017 - von welchem Regierungsbündnis auch immer. Unberücksichtigt blieben in der November-Prognose auch jene Milliardensummen, die bei den Flüchtlingskosten sowie ab 2020 dann bei den Bund-Länder-Finanzen neu umverteilt werden. Was auch dazu führt, dass die vorhergesagten Einnahmen für den Bund völlig über- und das Steueraufkommen für die Länder weit unterschätzt wird.

Aber das ändert nichts daran, dass die Steuereinnahmen des Staates auch in den nächsten Jahren von Rekord zu Rekord klettern werden. Für 2016 wird sogar ein nochmals um 4,3 Milliarden Euro höheres Aufkommen erwartet als im Mai geschätzt. Auch 2017 fällt ein kleines Zusatzplus an. Dann aber ist es vorbei mit den immer nach oben korrigierten Einnahmeprognosen: Erstmals seit langem muss sich der Fiskus wieder mit der Nachricht anfreunden, dass die Steuereinnahmen weniger üppig steigen als bisher erhofft.

Was finanzielle Spielräume für die Zukunft einengt. Die bis zum Jahr 2021 geschätzten Einnahmen von dann gut 835 Milliarden Euro sind ohnehin noch längst nicht in den Kassen der Finanzminister und Kämmerer. Die Milliarden sind aber schon für Jahre verplant.

Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sieht keinen Grund für Aufgeregtheiten. Es sei zwar nicht mit zusätzlichen Steuereinnahmen zu rechnen, die Staatsfinanzen seien aber solide. Schäuble will die Ausgaben zur Bewältigung der Flüchtlingskrise sogar aufstocken - und trotzdem weiter ohne neue Kredite auskommen. Was auch dank des Milliarden-Finanzpolsters möglich wird. Die „Schwarze Null“ stünde dann zwischen 2014 und 2017 durchgängig. Was für Schäuble „keine Kunst“ sei: „Aber wir sind mit dem Glück besser umgegangen als Hans im Glück.“

Auf dem Papier steht der Bund bei den Steuereinnahmen derzeit besser da, als es in den kommenden Jahren sein wird. Schließlich entlastet er die Länder bei den Asyl- und Flüchtlingskosten und gibt Umsatzsteuereinnahmen ab. Was sich bei den Ländereinnahmen in der aktuellen Schätzung noch nicht als Plus niederschlägt. Ebenso die ab 2020 vereinbarte Neuordnung der Finanzbeziehungen - gleichfalls zu Lasten des Bundes. Schäuble umschreibt dies zurückhaltend: Die Ergebnisse der Schätzung könnten eben nicht 1:1 auf die Etatplanungen übertragen werden.

Auch soll der „Solidaritäts-Zuschlag“ ab 2020 schrittweise abgeschafft werden, so jedenfalls der Plan der Union. Was im Bundeshaushalt zu weiteren Milliardenlöchern führen würde. Auch die Abgeltungsteuer könnte abgeschafft und die Besteuerung von Kapitalerträgen neu geregelt werden. Was aber nicht zu Mehreinnahmen führen muss, wie einige Politiker hoffen.

Geschätzt wird immer nur auf Basis geltenden Rechts. So bleibt selbst die ab Januar geplante Mini-Steuersenkung von 6,3 Milliarden Euro in den Jahren 2017 und 2018 in der November-Prognose unberücksichtigt. Ganz zu schweigen von den in Aussicht gestellten Steuerentlastungen und Reformen nach der Wahl.

Eine Steuersenkung von jährlich 15 Milliarden etwa haben die Unionsspitzen für die Zeit nach 2017 versprochen, Wirtschaftsvertreter der Union pochen auf Entlastungen von mehr als 30 Milliarden Euro. Über allem schwebt das Risiko einer mittelfristig schwächeren Konjunktur. Ein EU-Austritt Großbritanniens dürfte Deutschland mehr Geld für Brüssel kosten.

Was die Anhänger großer Steuersenkungen kaum beeindrucken wird. Sie werden auf die alljährlich steigenden Rekordeinnahmen verweisen. Was eine Binse ist. Denn die tatsächlichen Steuereinnahmen steigen fast immer - nur eben mal mehr oder weniger als zuvor geschätzt. Seit 1950 musste der Staat nur fünfmal einen Rückgang zum Vorjahr hinnehmen, zuletzt 2009.