Aufatmen in Lichtenberg NSU-Spur nährt Hoffnung auf Klarheit im Fall Peggy

Lichtenberg/Rodacherbrunn (dpa) - Zwischen den Bäumen im Wald, wo die Knochen von Peggy gefunden wurden und jetzt der Morgen aufzieht, herrscht Stille. Das Treiben in Lichtenberg geht da gerade los. Dort hat die vor 15 Jahren verschwundene Schülerin gelebt.

Gelände des Campingplatzes in Lichtenberg. In dem Ort hatte die vor 15 Jahren verschwundene Peggy gelebt.

Foto: Nicolas Armer

Jeder, der zum Bäcker geht und seine Frühstücksbrötchen holt, wird von Journalisten angesprochen. Immer wieder blickt die Öffentlichkeit auf diese kleine Stadt: Wenn sich das Verschwinden der Neunjährigen jährt oder wenn eine neue Spur auftaucht, wie jetzt. Der Bürgermeister sieht vor allem eins: dass die Spur weg führt von seinem Ort.

Die frisch gedruckten Tageszeitungen liegen in Lichtenberg bei Hof auf der Theke der Bäckerei. Die neueste Spur also ist die DNA von Uwe Böhnhardt, dem mutmaßlichen Rechtsterroristen des selbst ernannten „Nationalsozialistischen Untergrunds“. Groß jeweils auf Seite 1 prangt diese Nachricht auf den Blättern in der Bäckerei. „Die meisten kommen hierher“, sagt die Verkäuferin und erklärt damit, warum sie keinem Reporter etwas sagen will.

Nicht schon wieder. Die meisten Lichtenberger bleiben gar nicht erst stehen, wenn sie die Schreibblocks und Kameras sehen in den Händen der Journalisten. Einige gehen extra schnell über die Straße. „Es wäre herrlich, wenn's jetzt klar wär'“, sagte Lichtenbergerin Petra-Dagmar Meister die Peggy zwar nicht persönlich kannte, aber wie jeder in dem Ort ihre Geschichte kennt. „Für den Ort wäre es gut. Es hat so viele Gerüchte gegeben.“

Noch steht nicht fest, ob die Spur zu Böhnhardt, der sich Ermittlern zufolge im November 2011 mit seinem Komplizen Uwe Mundlos selbst getötet hat, zu mehr taugt als einem neuen Gerücht. „Ein Weg aus der Misere“, sagt Bürgermeister Holger Knüppel, könnte diese Spur aber sein. Würde sich bewahrheiten, dass der Rechtsextremist Böhnhardt etwas mit dem Verschwinden der kleinen Peggy zu tun hat, wäre diese Last weg, diese Frage, ob da in Lichtenberg noch ein Kindermörder unterwegs sei, meint der Bürgermeister damit.

Dass die braune NSU-Zelle Verbindungen in seine Stadt gehabt haben könnte, das schließt Knüppel aus. „Das hätten wir gemerkt, wir haben 1000 Einwohner, 90 Prozent kenne ich persönlich.“ Gut, einige neigten vielleicht Richtung AfD, sagt er, aber Neonazis in Lichtenberg? Nein.

Die Ermittler haben Böhnhardts DNA auf einem Gegenstand gefunden, den sie am Fundort von Peggy entdeckten. Auf Teile ihres Skeletts war im Juli ein Pilzsammler im südlichen Thüringen gestoßen, 15 Jahre nach dem Verschwinden der Neunjährigen. Gleich nach dem Fund suchte die Polizei die Umgebung akribisch ab — und Ende September noch einmal.

NSU und Peggy: Das wäre — wenn sich ein Zusammenhang tatsächlich bestätigt — die Verbindung zweier großer Kriminalfälle, eines rechtsextremistischen Komplexes und eines lange ungelösten Rätsels. In dem Waldstück in Thüringen ist jetzt — vielleicht nur vorläufig — Ruhe eingekehrt. Die Ermittlungsbehörden hingegen stünden am Anfang ihrer Arbeit, teilten sie mit.

Schon vor zwei Wochen allerdings habe die Bayreuther Polizei ein Schreiben an Dauercamper des Lichtenberger Campingplatzes geschickt, erzählt einer der Rentner, die dort leben. Darin sollten sie angeben, wer sie seien — und ob sie bereits im Mai 2001 auf dem Platz waren. Damals, als Peggy verschwand. Der Rentner erzählt, er sei seit 1994 hier. Und ja, auch damals sei er da gewesen. „Die haben mich aus dem Mittagsschlaf geklopft“, sagt er, „die Polizisten.“ An ein unbekanntes Gesicht erinnere er sich nicht.

Der Campingplatz jedenfalls wird nach Informationen der „Bild“-Zeitung in den Akten zum Fall Peggy erwähnt. Zur Tatzeit wurde demnach dort ein Camper aus Berlin beobachtet, dessen Herkunft nie ermittelt werden konnte. Zehn Jahre später wurden die Leichen von Böhnhardt und Mundlos in einem Wohnmobil in Eisenach gefunden. Die Polizei Oberfranken bestätigt, dass es dieses Schreiben gibt. Es sei aber Anfang Oktober - also vor dem Bekanntwerden des jüngsten DNA-Treffers - verschickt worden.

Auf ihn seien die Behörden jetzt wegen der neuen Spur noch nicht zugekommen, sagt Bürgermeister Knüppel. Erleichterung spürten seine Bürger. Darüber, dass es nun vielleicht doch bald eine Klärung geben könnte, eine Antwort außerhalb ihrer Stadt. „Aber“, glaubt Knüppel, „wir haben noch einiges vor uns.“