Obamas „bittersüßer Moment“ am Ground Zero
New York (dpa) - „Wir können die Freunde, die wir verloren haben, nicht zurückbringen.“ Barack Obama steht im schummrigen Licht des Gerätehauses der Feuerwache „Pride of Midtown“ in New York, als er diese Worte spricht.
Die Feuerwehrleute lauschen ihm.
15 ihrer Kameraden hatten vor zehn Jahren ihr Leben verloren, als die Zwillingstürme des World Trade Center einstürzten, nachdem gekaperte Flugzeuge in sie hineingerast waren. „Wir können die Freunde, die wir verloren haben, nicht zurückbringen“, sagt Obama, bevor er zum nahe gelegenen Ground Zero weiterfährt - dem Ort in Manhattan, an dem die Türme standen. Aber die Tötung Bin Ladens habe ein Signal ausgesendet. „Als wir sagten, wir werden niemals vergessen, meinten wir das auch so.“
Es ist eine seltsame Stimmung, die an diesem Donnerstag die ganze Stadt erfasst hat. Viele New Yorker empfinden einerseits Freude und Genugtuung über den Tod des Terroristenführers. Die Nachricht hatte sich in der Nacht zu Montag wie ein Lauffeuer verbreitet und Tausende waren zu Ground Zero geströmt und hatten mit „USA, USA!“-Rufen gefeiert. Andererseits trauern die Menschen um die Opfer der Anschläge vom 11. September, bei denen alleine in New York rund 2600 Menschen starben.
„Es ist ein kleines Stückchen Freude in einem Jahrzehnt des Leids“, kommentiert Sally Regenhard den Tod Bin Ladens. Sie hat ihren Sohn Christian an jenem schrecklichen Tag verloren - er war einer der Feuerwehrleute, die versucht hatten, die Menschen aus den brennenden Türmen zu retten. „Ich empfinde eine gewisse Genugtuung, aber das wird niemals die Trauer und die Schmerzen aufwiegen, mit denen wir leben müssen“, sagt sie. Immerhin könne sie nun das „Kapitel Osama bin Laden“ abschließen.
„Der Präsident hat sein Versprechen gegenüber den Opfern gehalten“, sagt sie. Mindestens genauso viel bedeuten ihr die Menschen, die sich rund um Ground Zero eingefunden haben, an dem Barack Obama einen Kranz im Gedenken an die Opfer niederlegt. „Einige Familien hatten das Gefühl, dass sie langsam vergessen werden, aber diese wunderbare Anteilnahme zeigt, dass die Menschen sie nicht vergessen.“
Es ist das erste Mal, dass Obama als Präsident diesen Ort besucht. Obama wolle diesen „wichtigen und bedeutsamen Augenblick“ mit den Angehörigen der Opfer verbringen, sagt sein Sprecher Jay Carney. „Einen bittersüßen Augenblick“, wie er ergänzt. Überall an den Straßen sind Obama-Buttons und -Flaggen zu kaufen. Zwei Dollar das Stück. Polizisten mit Sturmgewehren sichern die Szenerie ab. Auch einige Soldaten sind vor Ort. „Ich will den Familien, die in den Zwillingstürmen ihre Lieben verloren haben, meine Unterstützung zeigen“, sagt einer. „Der 11. September war der Grund, warum ich zum Militär gegangen bin“, sagt ein anderer.
Nancy Santana gehört zu denjenigen, denen Obama Mut zuspricht. Sie hat ihren Sohn Victor verloren, als der zweite Turm einstürzte. Er arbeitete gerade im Restaurant hoch oben in der Spitze des Gebäudes. „Er war 23 Jahre alt“, sagt Nancy Santana. „Er ging aufs College.“ Ob sie nun Genugtuung empfinde, nachdem Bin Laden tot sei? „Nein, es macht keinen Unterschied“, sagt sie. „Sie haben ihn getötet und er wird nicht zurückkehren.“
Eine Gedächtnisstätte an Ground Zero soll an die Opfer erinnern. Ihre Namen werden in Bronzetafeln eingraviert, die rund um zwei riesige Wasserbecken angebracht werden - dort wo früher die Türme standen. Noch ist der Ort des Gedenkens aber eine riesige Baustelle. Neue Hochhäuser wachsen nach jahrelangen quälenden Diskussionen in den Himmel; Bauzäune versperren die Sicht auf das Gelände. Am 11. September, wenn sich die Tragödie zum zehnten Mal jährt, ist die Eröffnung der Gedenkstätte geplant.
Der Tod von Osama bin Laden rückt den Ort in ein vollkommen neues Licht. Seit dem 11. September 2001 gilt Ground Zero für die US-Amerikaner vor allem als Symbol von Terror und Leid. Seit dem 1. Mai 2011 überwiegt eher das Gefühl von Hoffnung und Neuanfang. Der neue „Freedom Tower“ wird mit seinen 541 Metern die ehedem 411 Meter hohen Zwillingstürme noch überragen.
Es gibt aber auch kritische Stimmen, wie Ryan. „Es ist ein kleiner Sieg, aber es hat sich nicht viel geändert“, sagt der junge Mann. „Wir sind immer noch in Afghanistan, wir sind immer noch im Nahen Osten und im Irak. Und es gibt immer noch Terrorismus.“ An diesem Tag dürfte Ryan aber wenig Gehör finden. Um ihn herum beginnen die Menschen zu jubeln, als Obama eintrifft.