Porträt: Der Kämpfer Westerwelle ist am Ende
Berlin (dpa) - So schnell hat sich Guido Westerwelle seinen Absturz dann doch nicht vorgestellt. Am vergangenen Donnerstag reiste der Außenminister noch in dem Glauben nach Asien, die Führungsdebatte in seiner FDP voll im Griff zu haben.
Doch schon wenige Stunden nach der Rückkehr aus Tokio kam dem 49-jährigen Machtmenschen am Sonntag die bittere Einsicht, dass er keine Mehrheit mehr in der Partei hat. Um das Amt des FDP-Chefs zu kämpfen, hatte keinen Sinn mehr. Westerwelle warf das Handtuch. Außenminister und Vizekanzler will er aber bleiben
„Ich verlasse das Deck nicht, wenn es stürmt“, hatte Westerwelle noch im Dezember verkündet - die Welle der Rücktrittsforderungen aus der Partei hatte gerade einen ersten Höhepunkt erreicht. Vier Monate später ist eine der schillernsten deutschen Karrieren der vergangenen 20 Jahre - zumindest parteipolitisch - beendet.
Westerwelle hat nicht nur Parteigeschichte geschrieben und ist nicht nur einer der besten Debattenredner der Republik. Er ist auch ein gesellschaftliches Phänomen. Provokant, egozentrisch, populistisch, mit starkem Geltungsdrang: Kaum ein deutscher Politiker seit der Zeit von CSU-Chef Franz Josef Strauß hat das Publikum so stark polarisiert und die Pfeile der Kritik auf sich gezogen.
Dabei ist der Rechtsanwalt aus Bonn, trotz seiner ständigen Verweise auf seine rheinische Frohnatur, ein verschlossener Mensch geblieben. Niemand von seinen Vertrauten wusste bis zum Rücktrittsentschluss, was wirklich im Kopf des Parteichefs vorging.
Der Anfang von Westerwelles parteipolitischem Ende kam im Augenblick seines größten Triumphes, der Regierungsübernahme 2009. Westerwelle hatte in den Jahren zuvor die FDP von Sieg zu Sieg in Ländern und Kommunen geführt.
Bei der Bundestagswahl holte er sensationell fast 15 Prozent der Stimmen - ein Rekordergebnis, das Angela Merkel die Kanzlerschaft sicherte. Westerwelle stand im Zenit. Danach gelang ihm fast nichts mehr. „Eigentlich ist er der geborene Oppositionspolitiker“, war schon bald ein geflügeltes Wort.
Mitten in der weltweiten Finanzkrise beharrte er weiter auf Steuersenkungen getreu seinem Wahlkampf-Motto „Mehr Netto vom Brutto“. Er stieß eine Debatte über die Hartz-IV-Zahlungen („Spätrömische Dekadenz“) an und billigte Steuergeschenke für Hoteliers.
Einige davon standen auf der Spenderliste der FDP. Das Etikett Klientel-Partei ist sie bis heute nicht ganz losgeworden. Als Außenminister blieb er auch blass. Anders als seine Vorgänger im Auswärtigen Amt konnte er keinerlei Ansehensgewinn für sich oder seine Partei herausholen. Sein jüngstes „Jein“ zur bewaffneten Hilfe der Diktator-Gegner in Libyen hat ihm in seiner Partei auch eher geschadet als genutzt.
Mehr als 16 Jahre hat Westerwelle die Liberalen geprägt - ohne nennenswerten Widerstand. Als Generalsekretär verdrängte er Wolfgang Gerhardt von der Partei- und Fraktionsspitze. Er holte junge Leute in Parteiführung und Fraktion, wie Christian Lindner, Philipp Rösler oder Daniel Bahr - die jetzt den „ewigen Guido“ politisch satt haben.
Westerwelle wollte die FDP weg von ihrer traditionellen Rolle als „Funktionspartei“ in eine „Partei des ganzen Volkes“ umwandeln. Dafür war ihm zunächst fast jedes Mittel recht. Er ließ sich zum „Kanzlerkandidaten“ ausrufen, reiste im Wohnmobil durch die Republik, stieg in einen Big-Brother-Container und trat bei TV-Talks mit einer 18 als Wahlziel unter der Schulsohle auf.
Es war die Geburtsstunde der FDP als „Spaßpartei“. Der Tiefpunkt dieses Jonglierens mit politischen Inhalten war die Affäre um Jürgen Möllemann, die die Partei in die Nähe des Antisemitismus trieb. „Eine menschliche Tragödie“, sagte Westerwelle später einmal.
„Es war für mich auch eine Aushärtungsphase“, fügte er hinzu. Es dauerte dann aber Jahre, bis Westerwelle und die FDP politisch wieder auf die Beine kamen. Dazu gehörte dann auch, dass er nach Jahren des Schweigens seine Homosexualität publik machte und seinen Partner Michael Mronz vorstellte, mit dem er inzwischen verheiratet ist.
„Hier steht die Freiheitsstatue der Republik“ - Der Spruch auf dem Stuttgarter Parteitag 2007 war zugleich die Botschaft: Ich bin wieder da. Leicht überdreht, immer ein Tick zu selbstbewusst, im Staatsamt stets etwas zu steif - solange die Wahlergebnisse stimmten, haben das seine Anhänger in der Partei nicht als Belastung gesehen.
Die verlorenen Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz und die seit Monaten anhaltenden Umfragewerte am politischen Existenzminimum wendeten das Blatt. Das nahe Ende muss Westerwelle gespürt haben, als bei der Vorstandssitzung vor gut einer Woche der Berliner Alexander Pokorny ihm offen entgegenhielt: „Herr Westerwelle, Sie haben nicht mehr die Kraft, die FDP nach vorne zu bringen.“ Danach herrschte Totenstille im Vorstandsraum. Die meisten dachten wohl, „so isses“.