Porträt: Seehofer kommissarisches Staatsoberhaupt
München (dpa) - Mit dem Rücktritt von Bundespräsident Christian Wulff übernimmt Bayerns CSU-Regierungschef Horst Seehofer als derzeitiger Präsident des Bundesrates nun auch die Funktion des Staatsoberhaupts - kommissarisch.
Damit hat der CSU-Vorsitzende seine eigene Prophezeiung widerlegt: „Ein neues Treppchen gibt's nicht mehr, das weiß ich ganz sicher“, sagte Seehofer vor seinem 60. Geburtstag im Sommer 2009. Jetzt gibt es zumindest zeitweise ein neues Treppchen.
Nach Artikel 57 des Grundgesetzes muss Seehofer nun die Befugnisse des Staatsoberhaupts wahrnehmen. Die wichtigste Aufgabe im Alltagsgeschäft ist die Unterschrift unter neue Bundesgesetze. Außerdem empfängt er Staatsgäste. Seehofer dürfte den Bund auch für die Dauer seiner kurzen kommissarischen Amtszeit völkerrechtlich vertreten und im Namen Deutschlands Verträge mit anderen Staaten schließen.
Seehofers Lebenstraum war der CSU-Vorsitz, wie er selbst einmal sagte. Den Posten des bayerischen Ministerpräsidenten wollte er nicht - Seehofer musste das Amt nach dem Verlust der absoluten CSU-Mehrheit 2008 übernehmen, weil die Parteifreunde in der Münchner Landtagsfraktion es nicht schafften, sich auf einen der Ihren zu einigen. „Letzte Patrone im Colt der CSU“, nannte ihn damals der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter.
Die letzte Patrone zündete - doch ist Seehofer seinen Parteifreunden ein Rätsel geblieben. Bei keinem anderen CSU-Politiker gehen die Selbstwahrnehmung und das Urteil der Parteifreunde so weit auseinander. Seehofer selbst hält sich für zuverlässig, vorausschauend, kollegial - ein Vorsitzender, der den Dialog pflegt. Die Kollegen im CSU-Vorstand billigen ihm allgemein zu, dass die Partei heute wieder besser dasteht und sich sogar Hoffnungen auf die Rückgewinnung der absoluten Mehrheit in Bayern macht.
Doch auch manche CSU-Spitzenpolitiker sehen Seehofer ganz anders als er sich selbst: Sprunghaft, unberechenbar, mit Neigung zu einsamen Entscheidungen. Gerade erst hat Seehofer den CSU-Europagruppenchef Markus Ferber niedergebügelt - weil der nichts von Seehofers Forderung hält, bundesweite Volksentscheide auch über den Euro zuzulassen. „Es kann aber nicht sein, dass jemand abgestraft wird, nur weil er seine Meinung sagt“, sagt ein Vorstandskollege.
Seehofer findet solche Kritik nicht nachvollziehbar. Sein Standardkommentar zu Äußerungen und Einschätzungen, die er für unsinnig hält: „Liebe Leut'!“