Radovan Karadzic: Psychiater, Politiker, Poet und Mörder
Den Haag (dpa) - Das weiße Haar sorgfältig gekämmt, den hellen Schlips korrekt gebunden, das Hemd blütenweiß, das Gesicht angespannt: Radovan Karadzic war sorgfältig auf seinen großen Auftritt vor Gericht vorbereitet.
Es sollte sein wichtigster sein. Das UN-Kriegsverbrechertribunal zum früheren Jugoslawien in Den Haag bestimmte am Donnerstag das Schicksal des 70-Jährigen.
Dann, nur für einen kurzen Moment, entgleisten die Züge des Angeklagten. Er schien fassungslos, als der Vorsitzende Richter O-Gon Kwon die entscheidenden Worte sprach: „Das Gericht verurteilt den Angeklagten hiermit zu einer Gesamtstrafe von 40 Jahren Gefängnis.“
Der ehemalige Serbenführer ist schuldig für die schlimmsten Verbrechen, die das internationale Recht kennt: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen.
Das Urteil fügte zur Karriere des Radovan Karadzic ein neues Kapitel hinzu: Einst Psychiater und Poet, dann Politiker und Präsident - und seit dem 24. März 2016 offiziell ein tausendfacher Mörder.
Die Verbrechen wurden vor mehr als 20 Jahren begangen. Dennoch meint der Chefankläger Serge Brammertz: „Endlich Gerechtigkeit für die Opfer.“ Für ihn ist Karadzic „der politische Architekt des Massenmordes“. Und das hat das Gericht bestätigt. Auch ein Politiker - Karadzic war Präsident der selbsternannten bosnisch-serbischen Republik - wird für die schlimmsten Verbrechen zur Verantwortung gezogen, auch wenn er selbst persönlich keinen Menschen getötet hat.
Seine Politik aber machte die Verbrechen erst möglich. Er wollte sein Ziel, ein ethnisch-reines Großserbien, mit allen Mitteln erreichen. Hinter dem zynischen Begriff „ethnische Säuberung“ verbargen sich entsetzliche Verbrechen: Vertreibung, Massen-Vergewaltigungen, Plünderungen, Folter, Belagerung von Städten wie Sarajevo, und eben auch der Massenmord von Srebrenica vom Juli 1995.
Viele Menschen leiden noch heute mehr als 20 Jahre später unter den Folgen. Eine Strafe von 40 Jahren ist für viele Opfer viel zu wenig. In Den Haag reagierten ehemalige Gefangene und die „Mütter von Srebrenica“ wütend und enttäuscht. „Warum haben sie die Morde in unseren Städten nicht als Völkermord anerkannt?“, fragte eine Sprecherin der Opfer.
Chefankläger Brammertz versteht die Frustration: „Doch Genozid ist nur eine juristische Qualifikation.“ Wichtiger sei, dass Karadzic auch für alle anderen Verbrechen individuell schuldig gesprochen wurde. Und die 40 Jahre? „Bei einem Herrn von 70 sind 40 Jahre Haft kaum ein Unterschied zu lebenslang.“
Ironischerweise verdankt der Kriegsverbrecher Karadzic die Reduzierung der Strafe seinem früheren Leben als Politiker. Als Teil des internationalen Friedensabkommens war er 1996 freiwillig von allen Ämtern zurückgetreten. Das werteten die Richter nun als mildernden Umstand.
Sechs lange Jahre dauerte der Prozess - viel zu lange, meint Chefankläger Brammertz. Für die Opfer und ihre Angehörigen aber ist es nicht zu spät. „Wir hoffen dass das endlich zu einer Versöhnung in Bosnien-Herzegowina und auf dem Balkan führt“, sagte eine Frau.
Doch dafür tut Serbien viel zu wenig, klagte der Ankläger. „Es gibt immer noch Politiker, die den Genozid leugnen. Wie soll es da jemals zu einer Aussöhnung kommen?“
Und auch das Tribunal hat das schwarze Kapitel von Srebrenica noch nicht abgeschlossen. Ex-General Ratko Mladic, der militärisch verantwortlich ist, steht noch vor Gericht - im nächsten Jahr hört er sein Urteil. Und Karadzic wird wohl Berufung einlegen. Er hatte sich mit großer Leidenschaft selbst verteidigt und im Gerichtssaal eine neue Bühne gefunden. Die wird er nicht so schnell aufgeben.