Rechtsphilosoph: Urteil ist Preis für den Rechtsstaat

Frankfurt/Main (dpa) - Dass das Land Hessen einem Kindsmörder eine Entschädigung zahlen muss, mag emotional schwer zu verdauen sein - dennoch sind solche Urteile aus Sicht eines Rechtsphilosophen nötig.

„Der Rechtsstaat muss der Gesellschaft das zumuten“, sagte Ulfrid Neumann, Professor für Rechtsphilosophie an der Frankfurter Goethe-Universität, der Deutschen Presse-Agentur dpa. „Derartige Entscheidungen sind der Preis, den wir bezahlen müssen, wenn wir in einem Rechtsstaat leben wollen.“

Er habe durchaus Verständnis dafür, dass die Tatsache, dass ein verurteilter Mörder Geld bekommt, als „überraschend“ oder „schwierig“ empfunden werde. „Aber ich halte diese Entscheidung dennoch für ein wichtiges Urteil: Es unterstreicht, dass in einem Rechtsstaat auch in extremen Situationen Folterungen und Folterdrohungen unzulässig sind.“ Die geringe Höhe des Betrages zeige, dass die Entscheidung des Frankfurter Landgerichts „eher symbolischen Charakter“ habe.

Schwierig nachzuvollziehen sei dies vor allem, weil sich hier die Rollen von Täter und Opfer mischen. „Wer in der einen Situation der Täter ist, kann in der anderen Situation durchaus das Opfer sein“, erklärte der Jurist. Dies gelte es auseinanderzuhalten. Als Mörder des Bankierssohns sei Gäfgen eindeutig der Täter - „in der Situation der polizeilichen Vernehmung kann er dennoch Opfer sein“.

„In Extremsituationen ist es nicht immer einfach, die Regeln des Rechtsstaats der Allgemeinheit zu vermitteln“, sagte Neumann. „Aber der Rechtsstaat lebt davon, dass er sich selbst kategorische Verbote auferlegt, die auch in extremen Situationen nicht suspendiert werden können.“ Einer dieser Grundsätze sei: „Auch mit brutalen Tätern darf nicht nach Belieben umgesprungen werden“.