Analyse Reden statt Bomben
Berlin (dpa) - In den Pfützen vor dem Kanzleramt liegen Dutzende Teddybären, die in rot gefärbte Verbände gewickelt sind. Demonstranten haben sie am Mittwochnachmittag dort hingelegt - als Mahnmal für die Kinder von Aleppo, die im Bombenhagel getötet oder verstümmelt wurden.
Seit der kurzen Waffenruhe im September sind in der syrischen Stadt und ihrer Umgebung mehr als 140 Kinder bei Luftangriffen ums Leben gekommen. Der Westen schreibt Russland die Hauptverantwortung für die Tragödie zu, bis hin zu Kriegsverbrechen.
Der russische Präsident Wladimir Putin bemerkt die Teddys wahrscheinlich nicht, als er am Abend mit einer gepanzerten Stretchlimousine vor dem Kanzleramt vorfährt. Kanzlerin Angela Merkel begrüßt ihn mit einem kurzen Handschlag und einem leichten Lächeln.
Es ist das erste Mal seit vier Jahren, dass der russische Präsident in Berlin ist. Früher ging er im Kanzleramt ein und aus. Mit Ex-Kanzler Gerhard Schröder verbindet ihn sogar eine persönliche Freundschaft. Gegenüber der Regierungszentrale, im Bundestag, durfte Putin 2001 als erster russischer Staatschef reden, sprach von einem neuen Kapitel in den deutsch-russischen Beziehungen und dem Aufbau eines gemeinsamen europäischen Hauses.
Daraus ist nichts geworden. Der Graben zwischen dem Westen und Russland ist so tief wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr. Annexion der Krim, Bürgerkrieg in der Ost-Ukraine, Syrien-Krise - und nirgendwo eine Lösung in Sicht.
Nun ist Putin wieder in Berlin und sitzt mit Merkel, dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und dem französischen Staatschef Francois Hollande im fünften Stock des Kanzleramts an einem Tisch, um bei den Krisen am Rande Europas irgendwie weiterzukommen.
Es gibt politische Spitzentreffen, bei denen das Wichtigste ist, dass sie überhaupt stattfinden. So verhält es sich auch mit diesem Gipfel. Es gab vorher kritische Stimmen, die meinten, angesichts der Katastrophe in Syrien könne Putin nicht in Berlin empfangen werden. Merkel antwortet darauf: „Sprechen ist immer wieder notwendig, auch wenn die Meinungen sehr stark auseinander gehen.“
Gleichzeitig dämpfte sie vor dem Treffen die Erwartungen. Man dürfe „keine Wunder“ erwarten. Aus dem Kreml klang das ähnlich: „Einen Durchbruch erwarten wir nicht.“
Dennoch gab es schon am Tag vor dem Gipfel ein Signal, für das sich die Einladung Putins nach Berlin schon gelohnt haben könnte. Die Luftwaffen Russlands und Syriens stellten ihre Angriffe auf die umkämpfte Stadt Aleppo überraschend ein. Auch am Mittwoch warfen die Kampfjets keine Bomben ab. Außerdem wurde die für Donnerstag verkündete komplette Feuerpause für Aleppo um drei auf elf Stunden verlängert.
Der Stopp der Bombardements dürfte Bedingung für das Zustandekommen des Berliner Gipfels gewesen sein. Es wäre kaum denkbar gewesen, dass Merkel, Putin, Poroschenko und Hollande im Kanzleramt dinieren, während russische Bomben in Aleppo syrische Zivilisten töten.
„Manchmal liegt ein Erfolg schon darin, keine Eskalation zustande kommen zu lassen“, sagt Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der an dem Treffen im Kanzleramt teilnahm. Die Bundesregierung macht aber auch klar, dass die Signale aus Moskau bei weitem nicht ausreichen. Mehr als eine kurze Atempause ist es zunächst nicht. „Wir brauchen möglichst in ganz Syrien eine nachhaltige Waffenruhe“, sagt Regierungssprecher Steffen Seibert.
Für Merkel ist der erste Besuch Putins in Berlin seit vier Jahren eine Gratwanderung. Einerseits muss sie Härte zeigen. Andererseits will die Kanzlerin den Gesprächsfaden mit Russland nicht abreißen lassen, nachdem zwischen Moskau und Washington nicht mehr viel läuft.
Der eigentliche Anlass des Gipfels rückt am Mittwoch etwas in den Hintergrund: Der ins stocken geratene Friedensprozess in der Ukraine. Aber auch bei diesem Thema waren die Erwartungen vor dem Gipfel nicht besonders hoch. Kremlsprecher Dmitri Peskow drückt das so aus: „Das Ziel ist, zu schauen, wo wir stehen, und festzustellen, was uns an der Umsetzung des Minsker Abkommens hindert.“