Report: Manche Obdachlose wollen draußen bleiben
Berlin (dpa) - Manchmal ist schon ein Schluck heißer Tee ein Geschenk, wenn man sonst nichts zum Aufwärmen hat. „Danke“, sagt Anastasios gerührt und greift nach dem dampfenden Pappbecher. Dann bekommt er noch eine dicke Steppjacke.
Seinen Schlafplatz aufgeben und sich in eine Notunterkunft fahren lassen, will der Obdachlose aber nicht: „Ich bleibe hier“, sagt er bestimmt. Und so fahren die Männer vom Berliner Kältebus weiter zum nächsten „Kunden“. Anastasios igelt sich wieder auf seinem Nachtlager ein: Schlafsack, ein paar Decken, Isomatte - unter freiem Himmel und genau gegenüber vom Bahnhof Zoo. Es sind minus sieben Grad Celsius.
„Man kann sie nicht zwingen mitzufahren“, sagt Carlo Trobisch, während es durch die hell erleuchtete City West geht. Der Sozialarbeiter fährt im dritten Winter den Kältebus des Berliner Roten Kreuzes. Der Bus ist jetzt jeden Abend unterwegs, um all die zu versorgen, die am meisten unter der eisigen Kälte leiden: Menschen ohne festes Dach über dem Kopf. In der Hauptstadt sind es geschätzte 8000. Viele kommen in einem Wohnheim oder anderswo unter, gut 1000 sollen dauerhaft auf der Straße leben.
Neben heißem Tee hat der Kältebus für sie wärmende Kleidung an Bord - Mützen, Unterwäsche, Pullover bis hin zum Schlafsack. Den Männern vom Roten Kreuz ist es aber am liebsten, wenn ein Obdachloser Ja sagt und sich in eine der 20 Notunterkünfte bringen lässt. Manche wollen jedoch partout draußen bleiben, und wenn es noch so kalt ist: „Die kriegt man nicht weg“, sagt Sozialarbeiter Trobisch.
Von Anastasios weiß man nicht viel, außer dass er Grieche ist und vor zwei Wochen zum ersten Mal am Bahnhof Zoo aufkreuzte. „Angeblich wartet er auf einen guten Freund“, erzählt Trobisch. Und weil er dessen Ankunft nicht verpassen will, schlägt der vollbärtige Mann immer aufs Neue das Angebot einer Fahrt in eine Notunterkunft ab. Alkohol scheint Anastasios nicht zu trinken, jedenfalls nicht viel. „Der ist völlig klar im Kopf“, sagt Trobisch.
Die meisten Obdachlosen reagieren bei Minus-Temperaturen anders als der Grieche. Nach dem plötzlichen Kälteeinbruch wollen sie ins Warme. In der Nacht zu Sonntag suchten 467 Menschen Obdach - freie Plätze gibt es laut Berliner Kältehilfe nur 315. Seit langem übersteige die Nachfrage das Angebot deutlich.
Die beiden Kältebusse von Rotem Kreuz und Stadtmission sind seit dem 1. November in der Hauptstadt unterwegs. Allein die DRK-Männer zählten seitdem 1100 sogenannte Kontakte zu obdachlosen Menschen.
Im Winter seien die Berliner schon sehr hilfsbereit, meint DRK-Mann Trobisch. „Viele Obdachlose haben wirklich tolle Kontakte zu Nachbarn, die bringen Kaffee und Essen vorbei.“ Im Sommer schwinde die Toleranz - „dann sind es Penner, die herumlungern.“
Mittlerweile ist der Kältebus im feinen Dahlem angekommen - wo sich Villa an Villa reiht. Nur Jürgen wohnt im Gebüsch, seit drei Jahren. Er hat ein Alkoholproblem, aber mit Bier und Schnaps können die Leute vom Roten Kreuz nicht dienen. Sie kennen ihre Stammkunden und helfen mit einer Decke und netten Worten. Mit Jürgen habe es schon gute Gespräche gegeben, sagt Sozialarbeiter Trobisch - seit ein paar Tagen sei der Obdachlose jedoch außergewöhnlich aggressiv: „Die Kälte macht ihn verrückt.“ In den nächsten Nächten soll es bis zu minus 15 Grad runter gehen.