Report: Schwarz-Rot strotzt zum Start vor Selbstbewusstsein
Berlin (dpa) - Angela Merkel räumt ein, noch ein bisschen üben zu müssen. Da hat die CDU-Kanzlerin am Mittwoch im Bundestag einen der wenigen Lacher auf ihrer Seite.
Für einen Moment kann sie sich bei der ersten Regierungserklärung ihrer dritten Amtszeit nicht entscheiden: Ist ihr SPD-Vizekanzler Sigmar Gabriel nun „Bundeswirtschafts- und Energieminister“ oder „Bundesenergie- und Wirtschaftsminister“?
Die etwas kokette Unentschlossenheit kann den Eindruck von Routine bei der Kanzlerin nicht verwischen. Es geht gleich zum Start der Regierung um die großen Fragen in Europa. Merkel dekliniert das bekannte ABC ihres Krisenmanagements durch, als hätte es keinen Regierungswechsel gegeben: mehr Reformbemühungen der EU-Staaten, dabei Politik der vielen Schritte, mehr EU-Integration - und Sicherung der Arbeitsplätze in Deutschland.
Es sind Gesten und informellen Plaudereien, die das Bild veränderter Gewichte und Stimmungen prägen. Auf der Regierungsbank demonstrieren Union und SPD von Beginn an eine Menge gute Laune und Selbstbewusstsein. Als Gabriel um 8.55 Uhr an den Stuhlreihen seiner Fraktion vorbei zu seinem neuen Platz schlendert, plaudert er kurz mit CSU-Agrarminister Hans-Peter Friedrich, bevor er länger mit den Ministergenossen Heiko Maas (Justiz) und Frank-Walter Steinmeier (Außen) spricht.
Strahlend kommen Andrea Nahles (Arbeit) und Manuela Schwesig (Familie). Nahles wirkt, als wäre ihr Platz nie woanders gewesen als in den Ministerreihen. Schwesig geht durch die Reihen der Staatssekretäre und schüttelt jedem die Hand - Nettigkeiten und Kennenlernen.
Mit einem kleinen Seitenhieb auf die lange Regierungsbildung eröffnet Bundestagspräsident Norbert Lammert die Sitzung: „Wir sind nun endlich im parlamentarischen Alltag angekommen.“ Merkel lobt ihre bisherige Krisenpolitik. „Wir haben die gemeinsame Währung attraktiv gehalten.“ CSU-Verkehrsminister Alexander Dobrindt lehnt sich zu Schwesig und CDU-Gesundheitsminister Hermann Gröhe, sie scheinen sich zu freuen.
„Unser Ziel ist ein gestärktes Europa“, unterstreicht die Kanzlerin. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt geht mit einem orangefarbenen Textmarker über die Blätter vor sich. Sahra Wagenknecht, Vizechefin der Linken-Fraktion, sitzt kerzengrade auf ihrem Platz neben Fraktionskollegen Diether Dehm. Gleich wird sie sich als die Oppositionsführerin des Tages präsentieren.
Die Linken haben allenfalls ironischen Applaus für Merkel übrig, als die sich für EU-Vertragsänderungen ausspricht. Claudia Roth von den Grünen klatscht hingegen echten Beifall für Merkel, als die Kanzlerin die Wahrung der Grundrechte in der Ukraine anmahnt.
Auch sonst gehen Linke und Grüne getrennte Wege in ihrer 20-Prozent-Opposition. Wagenknecht wirft Merkel vor, durch europäische Sparvorgaben mitverantwortlich zu sein für soziales Elend in den Krisenstaaten. „Das ist nicht christlich, das ist unmenschlich und brutal.“ Die SPD als neuer Partner verspiele das Erbe Willy Brandts. Gabriel tippt und tippt in sein Handy. Dann vertiefen sich Kanzlerin und Vizekanzler auf ihren Plätzen in ein Gespräch, schenken Wagenknecht kein Ohr mehr. Als die Linke fertig ist, bemühen sich die Linken, mit heftigem Beifall den Saal einigermaßen auszufüllen, bei den Grünen erhebt sich keine Hand zum Klatschen.
Umgekehrt wird es nachher genauso sein. Göring-Eckardt legt einen ganz anderen Schwerpunkt, verlangt mehr Offenheit gegenüber den Flüchtlingen, fordert ein energisches Eintreten für Menschenrechte, ruft die Regierung zu deutlichen Worten und dann auch Taten gegenüber Russland auf. Hin und wieder bekommt sie Zustimmung aus den Reihen der Koalition, von den Linken nicht.
Dann ist die Opposition auch nicht mehr gefragt. Noch ist nicht abschließend entschieden, wie ihre Minderheitenrechte gesichert werden sollen in den kommenden vier Jahren. Aber als bis zum Ende der Debatte noch ein schwarz-roter Redner nach dem anderen kommt, zeigt sich: Vier Jahre lebhaften parlamentarischen Streits dürften es wohl nicht werden.