Report: Syriens Nachbarn schlagen Alarm
Berlin (dpa) - Der jordanische Außenminister Nasser Judeh bringt die Flüchtlingssituation in seinem Land mit einem Wort auf den Punkt: Erschöpfung. 650 000 Menschen aus Syrien hat Jordanien seit Beginn des Bürgerkriegs vor dreieinhalb Jahren aufgenommen.
Die Bevölkerung in dem arabischen Land ist damit um mehr als zehn Prozent gewachsen.
Die Zahl der Patienten in Krankenhäusern ist um 250 Prozent gestiegen, die Schulen sind überfüllt und die Nachfrage nach Wasser hat sich um 16 Prozent erhöht. In einem Land, das zu den vier wasserärmsten der Welt zählt, kann das existenzielle Folgen haben. Zudem wächst der Wettbewerb um Arbeitsplätze und damit auch die sozialen Spannungen.
„Wie lange wird Jordanien das noch durchhalten können?“, fragt Judeh im Weltsaal des Auswärtigen Amts in Berlin. Dort haben sich Außenminister und andere hochrangige Diplomaten aus drei Dutzend Ländern versammelt. Sie beraten darüber, wie man das Problem gemeinsam angehen kann.
Jeder zweite Syrer ist inzwischen auf der Flucht. Drei bis fünf Millionen haben in den Nachbarländern Unterschlupf gefunden, wo sie auf eine Rückkehr in ihre Heimat hoffen. Noch stärker als Jordanien ist der Libanon betroffen, dessen Einwohnerzahl um weit mehr als eine Million und damit fast um ein Drittel angewachsen ist.
Die Türkei hat nach eigenen Angaben alleine während der Belagerung der syrischen Stadt Kobane 200 000 Menschen aufgenommen - und damit ebenso viele wie die gesamte Europäische Union seit Beginn des Bürgerkriegs. Der Irak hat seit dem Vormarsch der Terrormiliz Islamischer Staat sogar ein doppeltes Flüchtlingsproblem: Zu den syrischen Flüchtlingen kommen die Menschen, die innerhalb des eigenen Landes vertriebenen wurden.
Die internationale Gemeinschaft hat sich bisher auf humanitäre Nothilfe für die Flüchtlinge konzentriert. Jetzt soll das Engagement auf die Stabilisierung der Nachbarstaaten erweitert werden. Konkret könnte das zum Beispiel Investitionen in Infrastruktur, Schulen und Krankenhäuser bedeuten.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier spricht bei der Berliner Konferenz von einer langfristigen Aufgabe. Und er schreitet mit einer finanziellen Zusage von einer halben Milliarde Euro für die nächsten drei Jahre voran. Zudem gibt es für das laufende Jahr 140 Millionen Euro zusätzlich für Jordanien, den Libanon, die Türkei und den Irak. Steinmeier sagt aber auch: „Das ist nicht nur eine Frage des Geldes. Wir müssen unsere Unterstützung auch effizienter und nachhaltiger gestalten.“
Ansonsten bleiben die Hilfszusagen eher unkonkret. In erster Linie sollte die Berliner Konferenz klar machen, dass sich die internationale Gemeinschaft grundsätzlich für das Flüchtlingsproblem verantwortlich fühlt. Dieses Zeichen der Solidarität reicht vielen Nicht-Regierungs-Organisationen aber nicht aus.
ProAsyl etwa hält die Beteuerungen der Europäer für unglaubwürdig. „Wer will, dass die Grenzen offen bleiben, muss selbst mehr Flüchtlinge aufnehmen“, sagte Geschäftsführer Günter Burkhardt dem rbb-Hörfunk. „Man kann ja nicht nach außen Solidarität von den Nachbarstaaten Syriens verlangen und selbst die Grenzen schließen.“ Die internationale Entwicklungsorganisation Oxfam forderte, die wohlhabenden Länder müssten mindestens fünf Prozent der registrierten
syrischen Flüchtlinge aufnehmen - das wären derzeit rund 180 000 Menschen.
Deutschland ist mit der Aufnahme von 70 000 Flüchtlingen unter den Europäern noch weit vorne dabei. Der UN-Flüchtlingskommissar António Guterres lobte die Anstrengungen der Bundesregierungen sogar als vorbildlich. „Das ist doch ein leuchtendes Beispiel für viele andere Länder“, sagte er. „Ich kann nur hoffen dass alle Länder der Welt sich diesem Beispiel anschließen.“