Report: „The Big One“ in Kalifornien ist überfällig
Wie Japan liegt Kalifornien in einer Beben-Zone. Der San-Andreas-Graben und andere Verwerfungen durchziehen den US-Westküstenstaat. Das gefürchtete „Big One“ ist überfällig.
San Francisco (dpa) - Fast jeden Tag stürzt sich der kalifornische Surfer Dave Alexander am Ocean Beach, dem Stadtstrand von San Francisco, in die Brandung. Am Freitag, als die Tsunami-Wellen aus Japan anrollten, hielt er sicheren Abstand. „Ich werde mich hüten, wenn da eine Welle mit einer Riesengeschwindigkeit und Power ankommt“, sagte der 53-Jährige. Die Behörden hatten Sportler und Strandbesucher eindringlich gewarnt, sich von der Brandung fern zuhalten. Schon früh tönten die Sirenen, überschwemmungsgefährdete Regionen entlang der nordamerikanischen Westküste wurden geräumt.
Einen weiteren Beben-Ratschlag der Behörden befolgt Alexander allerdings nicht. Nein, ein „Earthquake-Kit“ mit Wasser, Notproviant, Medikamenten, Batterien und Taschenlampe fehle in seiner Wohnung. „Wir wissen alle, dass auch hier das 'Big One' ansteht, aber dann vergisst man es auch schnell wieder“, grinst der Surfer.
Einen Weckruf mitten in der Nacht erhielten rund 4000 Bewohner von Crescent City. Sirenen schlugen Alarm, Polizisten und Helfer klopften an die Türen, schnell wurde der nordkalifornische Ort evakuiert und die Einwohner in höhere Lagen gebracht. „Wir sind recht gut vorbereitet“, preist Joe Young von der örtlichen Katastrophenbehörde das Tsunami-Frühwarnsystem an. Es gab keine Probleme, seit vier Jahren würden sie den Ablauf mit den Anwohner regelmäßig üben. Crescent City kennt den Ernstfall. Nach dem Jahrhundert-Beben in Alaska 1964 waren in dem kalifornischen Küstenort elf Menschen in einer Flutwelle ums Leben gekommen.
Warnungen wurden am Freitag aber auch ignoriert und mit dem Leben bezahlt. Drei junge Männer, die an einem Strand Fotos machten, wurde von einer Welle ins Meer gespült. Nur zwei konnten sich an Land retten, ein 25-Jähriger ertrank.
In San Francisco war der Küstenhighway 1 mehr als zehn Stunden gesperrt, doch das hielt Schaulustige nicht davon ab, sich einen Weg zum Strand zu bahnen. Kitesurfer Jeff Churen hatte keine Angst vor höheren Wellen. „Ich sehe zu, dass ich Spaß habe, solange es geht“, scherzte der Kalifornier. „Denn unser nächstes Beben ist längst überfällig“.
Das sagen auch die jüngsten Erdbebenstudien vom vergangenen Herbst. Teile der San-Andreas-Verwerfung haben sich länger nicht mehr bewegt. Nach einer derartigen Ruhephase sei bald mit einer schweren Erschütterung zu rechnen, prophezeien sie Seismologen.
Der San-Andreas-Graben ist eine tief reichende Störung in der Erdkruste, die sich auf einer Länge von knapp 1300 Kilometern durch Kalifornien zieht. Hier schiebt sich die pazifische Platte mit bis zu sechs Zentimetern pro Jahr nach Nordwesten und reibt sich am nordamerikanischen Kontinent. Dabei bauen sich gewaltige Spannungen in der Erdkruste auf, die sich in Erdbeben entladen können.
Das passierte 1906 in San Francisco. Das Beben der Stärke 7,9 und das nachfolgende Feuer töteten 3000 Menschen. Rund 28 000 Häuser wurden zerstört, 250 000 Menschen obdachlos. „Nur“ mit einer Stärke von 6,9 bebte es 1989 erneut in San Francisco, 67 Menschen wurden getötet und mehr als 3000 verletzt. Der Loma-Prieta-Erdstoß brachte zahlreiche Häuser und eine Fahrspur der Bay Bridge zum Einsturz. Das jüngste Beben in Japan war 900 mal stärker.
Das letzte schwere Beben in Südkalifornien liegt 17 Jahre zurück. Bei dem Northridge-Beben im Januar 1994 mit einer Stärke von 6,7 starben 57 Menschen. Es entstand ein Milliardenschaden.
Seither legen sich die Behörden mit Beben-Übungen ins Zeug. Beim letzten „California ShakeOut“ im vorigen Oktober machten knapp acht Millionen Menschen mit. In Schulen, Büros und Geschäften wurde der Ernstfall geprobt, Gebäude evakuiert, Leute informiert. Doch oft sind die guten Vorsätze schnell wieder vergessen. Einer Umfrage im Jahr 2006 zufolge machen sich nur neun Prozent der Kalifornier „häufig Gedanken“ über Erdbeben. Nur vier Prozent der Befragten rechnen damit, bei einem schweren Beben zu sterben.
Dave Alexander nimmt die Bebengefahr in Kalifornien gerne in Kauf. „Wirbelstürme machen mir viel mehr Angst“, meint der Surfer. „Niemals würde ich in den Mittleren Westen ziehen, wo es dauernd stürmt. Um keinen Preis!“.