Report: Traum von rosiger Zukunft nach Gaddafis Abgang
Tripolis (dpa) - Es wäre das größte Porträt der Welt gewesen. Das Riesen-Standbild von Oberst Muammar al-Gaddafi hätte am Donnerstag auf dem Grünen Platz im Herzen von Tripolis aufgestellt werden sollen.
Anlass war der 42. Jahrestag der Machtergreifung des ewigen „Revolutionsführers“, der am 1. September 1969 als 27-Jähriger mit anderen Offizieren den libyschen König Idris stürzte. Doch am Donnerstag ist nichts so, wie es sich das alte Regime vorgestellt hatte.
Der Grüne Platz heißt inzwischen Märtyrer-Platz. Die Revolutionäre sind inzwischen die, die den despotisch gewordenen Alt-Revoluzzer aus Tripolis verjagt und das vorbereitete Standbild genussvoll zerstört haben. Das Volk kam nicht, um zu jubeln, sondern um vor den seit Tagen geschlossenen Banken am Platz zu warten, in der Hoffnung, dass diese vielleicht doch noch öffnen würden. Vielen Menschen ist in den Wirren des Umsturzes das Bargeld ausgegangen.
„Wir haben Freiheit, das Geld ist nicht so wichtig“, ruft ein Mann mittleren Alters in der traditionellen, knöchellangen Galabija. Die Frauen unter den Wartenden werfen sich vielsagende skeptische Blicke zu. Sie müssen wohl daran denken, was sie ihren Kindern auf den Tisch stellen, wenn sie nicht bald an ihre Gehalts- und Sparkonten kommen.
Tripolis ist während der letzten Tage deutlich sicherer geworden, doch von Normalität kann noch nicht wirklich die Rede sein. In den Straßen stapelt sich der Müll, den keiner wegbringt. In ihren Häusern haben die Bewohner kein Wasser. Immerhin gibt es inzwischen Strom. Auch das örtliche Handy-Netz funktioniert. Lebensmittel und Trinkwasser sind erhältlich, aber teuer: Der Aufpreisen beträgt bis zu 40 Prozent.
Im Stadtzentrum kleben Aktivisten der Initiative „Libya Hope“ Plakate an die Wände, die die Bürger dazu aufrufen, die Waffen wegzulegen. Viele waren beim Zusammenbruch der Gaddafi-Herrschaft in die verlassenen Militärlager gegangen und hatten sich mit Gewehren, Pistolen und Munition eingedeckt. „Die Libyer sind verrückt nach Waffen“, meint ein algerischer Caféhaus-Besitzer, der seit Jahren in Tripolis lebt.
Auf dem nahen Bourguiba-Platz wimmelt es normalerweise von Taxis und Kleinbussen, die in alle Richtungen abfahren. In diesen Zeiten häuft sich auch dort nur der Müll, klafft gähnende Leere. Der 23-jährige Monteur Attija Pakuri besteigt das einzige Sammeltaxi, eine Großraumlimousine, die nach Al-Chums abfährt, 120 Kilometer östlich von Tripolis. Dort wohnt Pakuris Familie, er selbst arbeitet auf einem Erdölfeld in der Wüste.
Zuletzt war der junge Mann auf seiner langen Heimreise durch Bani Walid gekommen. Der Ort 160 Kilometer südöstlich von Tripolis ist eine der letzten Hochburgen der Gaddafi-Getreuen. Einige Gerüchte vermuten den ehemaligen Machthaber sogar persönlich dort. „Die Leute dort unterstützen wirklich Gaddafi“, bestätigt Pakuri. „Er hatte sie besser behandelt, aber sie wissen nicht, was er sonstwo angerichtet hat“, sagt der junge Mann.
„Jetzt ist es besser für uns alle und es wird noch besser werden“, fügt er lächelnd hinzu. Libyen mit seinen großen Öl- und Gasvorkommen und seinen nur sechs Millionen Einwohnern sei eigentlich ein unheimlich reiches Land. Pakuri vergleicht es mit den kleinen ölreichen Golfstaaten, wo die einheimischen Bürger in jeder Hinsicht vom Staat materiell unterstützt werden: „Wir sollten leben können wie die Menschen in Dubai oder Katar.“