Report: Von wegen Haircut - „Griechen skalpiert“
Athen (dpa) - Giorgos Zisimatos hat im vergangenen Jahr jeden Tag gekämpft. Gekämpft um das Überleben seiner Damenboutique im Hafen von Piräus.
Sein Vater, so sagt er, hatte das Geschäft in der Nähe von Athen vor mehr als 30 Jahren am Rande des Bankrotts gestartet. Heute ist der 51-Jährige überzeugt: Die Krise Griechenlands hat den „point of no return“ erreicht. Und das, obwohl beim EU-Gipfel am Donnerstag ein Schuldenschnitt für das pleitebedrohte Land beschlossen wurde. Nach stundenlangen Verhandlungen hatten die Regierungschefs der Eurozone eine Einigung mit den privaten Gläubigern Griechenlands erzielt. Sie erlassen dem pleitebedrohten Land demnach freiwillig die Hälfte seiner Schulden. International ist von einem „Haircut“ die Rede.
„Vor drei Monaten hat die Regierung gesagt, dass ein Haircut dieser Größenordnung eine Katastrophe für das Land wäre“, sagt Zisimatos. „Jetzt feiert der Premierminister ihn als Erfolg? Sie lügen uns an“, glaubt er. „Schauen Sie sich um: Einer von vier Läden in meiner Straße ist pleite - was wird die Regierung dagegen tun?“
Der griechische Premierminister Giorgos Papandreou hatte nach der Beratungsnacht betont, die Schuldenlast des Landes werde nun zu bewältigen sein. Er sprach von einem neuen und besseren Tag, der angebrochen sei. Die Griechen selbst erwachten am „Morgen danach“ hingegen voller Sorge - denn das Land muss für den Schuldenschnitt drastische Sparpakete schnüren. Die Griechen fürchten Jahre mit Einschränkungen und strengen Kontrollen internationaler Gläubiger. Das Land, so sagen sie, werde nun von seinen Gönnern regiert.
„Die Regierung stimmte für die permanente Besetzung unseres Landes durch die Troika“ - so lautete die Schlagzeile der griechischen Tageszeitung „Avriani“. Die Troika ist das Dreiergespann aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF). „Der Haircut bringt neue strenge Maßnahmen wie Tausende von Entlassungen und reduzierte Gehälter und Renten mit sich“, schreibt die Tageszeitung „Eleftheros Typos“.
„Wir erwarten, dass die Dinge nur noch schlimmer werden und dass es weitere Kürzungen bei Renten und Gehältern gibt“, sagt Kostas Lianikis (47). Er arbeitet als Hausmeister in der Gemeinde Paleo Faliro. „Anstelle eines Haircuts haben sie die Griechen skalpiert.“
Die 45 Jahre alte Anwältin Sotiria Gianakou sieht das ähnlich. „Die Politiker haben die Leute seit Monaten belogen“, sagt sie, während sie auf den Bus wartet. „Ich glaube, dass die Dinge jetzt nur schlechter werden, weil das Land unter der strengen Aufsicht anderer steht.“ In den kommenden Monaten erwartet sie ebenfalls neue Einschnitte bei Löhnen und Renten.
Nach den Beschlüssen des EU-Gipfels erhält Griechenland ein Hilfspaket von 100 Milliarden Euro. Im Juli hatten die Regierungen der Euroländer ursprünglich ein 109-Milliarden-Paket beschlossen. Zusätzliche Garantien in Höhe von 30 Milliarden Euro kommen nun aber als Beitrag des öffentlichen Sektors für den Schuldenschnitt hinzu.
Griechische Analysten erwarteten durch den Schuldenschnitt große Verluste für Landesbanken und staatliche Rentenfonds, die bis zum Hals in griechischen Staatsanleihen von etwa 100 Milliarden Euro stecken.
„Wir wissen weder, wie das griechische Bankensystem unterstützt wird und ob dieses Geld in den Privatsektor gehoben wird - noch wissen wir, wie es den Rentenfonds des Landes beeinflusst“, sagt Dimitrios Katsikas, ein Forscher der Hellenic Foundation for European and Foreign Policy. „Der erste Eindruck ist, dass dies die Schulden des Landes reduzieren wird, aber es ist noch zu früh, um es sicher zu sagen.“
Die konservative Oppositionspartei Nea Dimokratia äußerte sich ebenfalls skeptisch zum Schuldenschnitt. „Durch den Haircut kann die griechische Schuldenlast nicht bewältigt werden“, sagt Christos Staikouras, Sprecher für Wirtschaftsangelegenheiten. Dafür sei erst Wirtschaftswachstum nötig. Oppositionsführer und Nea-Dimokratia-Chef Antonis Samaras verweigert seit Monaten jede Mitarbeit am drastischen Sparkurs, den Papandreou seinem Land verordnen muss. „Ich sehe nicht, dass dieser Schuldenschnitt etwas ändern wird“, sagt der Biologe Evi Tsaliki (27). „Er ist nur eine vorübergehende Lebensader.“