Report: Zehn Zentimeter Schnee stoppen Heathrow

London (dpa) - Im Terminal 3 des Flughafens London-Heathrow drängen sich hunderte gestrandete Passagiere. Viele schlafen auf ihrem Gepäck, kaum ein Fleckchen Boden ist noch zu sehen, so vollgestopft ist der Flughafen mit Koffern, Taschen und Decken.

„Bitte lassen Sie ihr Gepäck nicht unbeaufsichtigt“, tönt es im Minutentakt durch die Lautsprecher. Die verzweifelten Passagiere hätten gern Informationen von größerem Nutzwert. Die aber sind Fehlanzeige. Die Passagiere fühlen sich allein gelassen. Nicht einmal die Versorgung mit Decken und heißen Getränken klappt reibungslos. Geschweige denn, dass jemand einen Ausweg beschreiben kann. Viele Reisende suchen ihr Heil in der Flucht in eines der Hotels der Innenstadt. Die Pubs rund um den Bahnhof Paddington, die Endstation des Heathrow-Express, werden zur Informationsbörse für Gestrandete aus aller Welt.

Renate Skoff aus Wien hat mit ihrem Mann ein Hotel in der Innenstadt ergattert. Ihre Kreuzfahrt in Südamerika, die in Rio de Janeiro starten sollte, hat sie abgeschrieben. Stattdessen sucht sie inzwischen seit Samstag nach ihrem Gepäck, das unauffindbar irgendwo in den Katakomben von Heathrow liegt. „Uns ist gesagt worden, dass gegenwärtig 400 000 bis 500 000 Gepäckstücke dort liegen“, sagt sie.

British Airways wollte am Montag zumindest 60 Flüge von Heathrow abwickeln - ein Bruchteil des Normalbetriebs. 48 Stunden nach dem letzten Schneefall war noch immer nur eine der beiden Startbahnen betriebsbereit. Der größte Flughafen Europas, eines der wichtigsten Drehkreuze der Welt, hat vor zehn Zentimetern Schnee praktisch kapituliert.

Passagiere aus Skandinavien, Kanada oder auch aus den Alpenländern schütteln nur den Kopf. Und auch innerhalb Großbritanniens wettern die Menschen aus dem Norden über die „Weicheier“ im Süden. „Stellt euch nicht so an da unten, lautet einer der Kommentare aus dem seit Wochen mit Schnee und Eis kämpfenden Schottland im Internet. „Im Winter kann es schneien“, schreibt die Zeitung „The Times“ voller beißender Ironie und wirft dem Londoner Flughafenbetreiber BAA ein Sparen an falscher Stelle vor.

Warum es überhaupt passieren konnte, dass der Riesen-Flughafen zum Stillstand kam, warum es dann so lange dauerte, bis die ersten Maschinen am Montagmorgen wieder landen konnten: Diese Fragen müssen sich der Airport-Betreiber und die Fluggesellschaften nun gefallen lassen. „Der Schnee fiel innerhalb sehr kurzer Zeit“, sagt Andrew Teacher von BAA. Personal und Maschinen seien schlicht überfordert gewesen. In solchen Situationen gehe die Sicherheit vor. „Wäre etwas passiert, hätten alle gefragt, warum der Flughafen nicht geschlossen wurde“, verteidigt Teacher die Maßnahme.

Der Flughafen hat im vergangenen Jahr sechs Millionen Pfund in neue Enteisungs- und Schneeräumtechnik investiert. „Vergangenen Donnerstag waren die Tanks für Enteisungsmittel in Heathrow und Gatwick voll“, sagte der britische Verkehrsminister Philip Hammond. Es sieht ganz so aus, als hätten die Verantwortlichen die Wettervorhersage nicht ernst genug genommen und schlicht zu langsam reagiert.

Als dann am Samstag der Winter mit Macht zuschlug und die Rollfelder erst einmal mit Schnee und Eis bepackt waren, war es zu spät. Der Eispanzer hatte genug Zeit, sich auf den Rollfeldern festzusetzen, die Maschinen konnten nicht mehr sicher bewegt werden.

„Die meisten Menschen haben mitgekriegt, dass es jetzt längere Zeit nicht mehr geschneit hat“, sagte der Londoner Bürgermeister Boris Johnson am Sonntag, 24 Stunden nach dem letzten Schneefall, voller Ungeduld. Im Klartext hieß das an die Flughafenbetreiber gerichtet: Beeilt euch gefälligst! Johnson verwies auf die Bedeutung des Flughafens, gerade in der Weihnachtszeit. Und hatte dabei wohl auch den möglichen Imageschaden für seine Stadt im Sinn.