Richtungskampf: Rückt die AfD noch weiter nach rechts?
Stuttgart (dpa) - Schrill, schriller, AfD. In den Wochen vor ihrem Bundesparteitag hat die einstige Euroskeptiker-Partei eine Populismus-Rakete nach der anderen gezündet.
Vom Schusswaffengebrauch gegen Flüchtlinge über die Behauptung, der Islam sei „an sich eine politische Ideologie“, bis hin zu Spekulationen über einen Austritt Deutschlands aus der Nato reichen die Themen. Auf ihrem zweitägigen Parteitag, der an diesem Samstag in Stuttgart beginnt, muss die AfD jetzt aber Farbe bekennen, muss sagen, was wirklich gilt und was nur Effekthascherei war.
Vorstandswahlen stehen zwar diesmal nicht an. Doch die AfD wäre nicht die AfD, wenn es ganz ohne Animositäten, Personalquerelen und Machtdemonstrationen ablaufen würde. Parteichefin Frauke Petry plädiert kurz vor Beginn für eine klare Abgrenzung zum Rechtsextremismus. Der rechtsnationale Thüringer AfD-Chef Björn Höcke grätscht dazwischen. Er sieht dafür keine Notwendigkeit.
Sein Verbündeter, der Vorsitzende der AfD-Landtagsfraktion in Magdeburg, André Poggenburg, fordert nach dem guten Abschneiden der AfD in Sachsen-Anhalt müsse die Stimme seines Landesverbandes künftig auch in der Bundespartei mehr Gehör finden. Tatsächlich war die AfD in Sachsen-Anhalt aus dem Stand zweitstärkste Kraft hinter der CDU geworden. Allerdings verweist Petry, wenn man sie auf Höcke und Poggenburg anspricht, gerne darauf, die beiden seien schließlich nur Vertreter „kleiner Landesverbände“.
Mehr als 2000 Mitglieder haben sich für den zweitägigen Parteitag angemeldet. Sie sollen ein Grundsatzprogramm verabschieden - oder zumindest Teile davon. „Das Programm ist so etwas wie die Krönung der Wahlerfolge durch einen geistigen Überbau“, formuliert Vorstandsvize Alexander Gauland.
Vor den Toren der Stuttgarter Messe wollen linke Gegner der Alternative für Deutschland protestieren. Ihr Motto: „Brandstiftern einheizen - AfD-Bundesparteitag verhindern“. Die Polizei will Wasserwerfer auffahren, um zu verhindern, dass die Demonstranten den Zugang zum Messegelände blockieren.
Seit ihrem letzten Mitgliederparteitag im Juli 2015 - Parteigründer Bernd Lucke wurde damals abgewählt und gründete mit Getreuen eine eigene Partei - ist die AfD weiter nach rechts gerückt. Vor allem bei den Themen Einwanderung, Asyl und Islam.
Parteichefin Frauke Petry sieht den Kern der Partei woanders. Sie sagt: „Euro, Europa, Familie, direkte Demokratie, das sind die allerwichtigsten Themen.“ „Hochemotionale Themen“ wie Energie, Integration, Einwanderung und Asyl stünden in der zweiten Reihe.
Beim „Spaltungsparteitag“ in Essen hatte Petry ihren Rivalen Lucke mit Stimmen des rechtsnationalen Flügels geschlagen - doch hat sie die Zügel heute noch in der Hand? Im Bundesvorstand ist sie zunehmend isoliert. Es gibt Kritik an ihrem „gelegentlich etwas aggressiven Auftreten“. Vor allem männliche Vorstandsmitglieder ziehen in Zweifel, ob die von Petry vorgebrachten Ideen von ihr selbst stammen oder von ihrem Lebensgefährten, dem AfD-Landeschef in Nordrhein-Westfalen, Marcus Pretzell.
Für die Parteibasis ist die AfD-Chefin aber immer noch eine Identifikationsfigur. Deshalb und weil sich die AfD noch nicht von ihrem „Lucke-Trauma“ erholt hat, gibt es bislang keine ernsthaften Versuche, Petry zu stürzen. Die Vorstandskollegen bemühen sich aber, ihre Macht zu beschneiden.
Das gelingt ihnen besser, seit Jörg Meuthen im November offiziell von der Nummer Zwei zum gleichberechtigten Vorsitzenden „aufgewertet“ wurde. Meuthen, der seit Luckes Auszug den stark geschrumpften wirtschaftsliberalen Flügel repräsentiert, hat Frieden mit Höcke und dem rechtsnationalen Flügel geschlossen.
Noch begegnet Meuthen Petry relativ loyal. Doch wer kann bei der AfD schon sagen, was morgen kommt. Schließlich stellt die Partei mit ihren Machtspielchen und Intrigen so manche Vorabendserie in den Schatten. Petry sieht das Thema Vorsitz in Stuttgart auf jeden Fall nicht auf der Tagesordnung. Sie sagt: „Wir sind glücklich mit der Struktur, wie sie ist. Mehr als zwei Vorsitzende braucht es, glaube ich, auf keinen Fall.“
Dass die AfD in Stuttgart kein vollständiges Parteiprogramm verabschieden wird, liegt an den großen inhaltlichen Differenzen ihrer Mitglieder. Der Mindestlohn sei für viele „ein Reizthema“, räumt Petry ein. Mitglieder, die „weniger Staat“ fordern, stehen gegen jene, die aus der AfD eine „Partei der kleinen Leute“ machen wollen.
Dass einige AfD-ler die Partei nach der Verabschiedung des Programms enttäuscht verlassen werden, ist möglich. Ein großer Aderlass, so wie nach dem Streit mit dem Lucke-Flügel, ist aber eher unwahrscheinlich. Denn für die AfD-ler gibt es einen guten Grund zusammenzubleiben: Die Partei hat bei den letzten Landtagswahlen durchweg zweistellige Ergebnisse erzielt. Laut Umfragen stehen ihre Chancen, 2017 in den Bundestag einzuziehen, nicht schlecht. Vorausgesetzt, sie zerbricht nicht vorher an ihren inneren Widersprüchen.