Routine im Schrecken: Die Deutschen und die Terrorangst
Berlin (dpa) - Im Dunkeln hat das Brandenburger Tor in den belgischen Farben geleuchtet. Am Morgen danach liegt ein Kreis aus Kerzen und Rosen davor. Er ist klein.
Brüssel, das ist nicht wie nach Paris, als Staatsmänner aus aller Welt eingehakt durch die Straßen liefen und jeder wusste, was „Je suis Charlie“ heißt. Aber die Lage ist nach den Bomben in Belgien ernster geworden. Der Terror scheint näher zu rücken. Wie bewegt das die Deutschen? Gibt es eine Routine im Schrecken, einen Gewöhnungseffekt? Oder wächst die Angst?
Die Antwort: Kommt darauf an, wo man hinguckt und wen man fragt. Hätte Deutschland einen Lautstärkeregler, er wäre fast am Anschlag. Die „Bild“-Zeitung titelt am Mittwoch: „Wir sind im Krieg!“ In einer Umfrage im Dezember sagten zwei Drittel der Bundesbürger, sie rechneten 2016 mit einem Anschlag des Terrornetzwerks IS in Deutschland. Innenminister Thomas de Maizière sagt Sätze wie: „Die Lage ist ernst, sie ist bitterernst.“
Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen hört sich nach den Bomben am Flughafen und in der U-Bahn von Brüssel noch besorgter an. „Auf dieses Szenario müssen wir uns als Sicherheitsbehörden auch in Deutschland einstellen.“ In den 90er Jahren wäre der Satz noch kaum denkbar gewesen. Heute klingt er für die Deutschen fast normal.
Die Muster nach den Anschlägen ähneln sich. Erst die roten Balken mit den Eil-Nachrichten im Fernsehen, die „Brennpunkte“, die Talkshows. Bestürzte Staatschefs und Minister. Die Fahnen auf halbmast, Blumen vor der Botschaft. Die Twitterdebatten: Kreative, die Bilder der trauernden belgischen Comic-Helden Tim & Struppi posten oder mit einem Weinglas in der Hand gegen Islam-Hass kämpfen.
Oder: Rechte Politiker, die vermeintlich unbequeme Thesen aufstellen. Die Polizeigewerkschaft, die bessere Ausrüstung fordert. An Tag vier der Nachrichtenwoche ist Deutschland dann bei der Frage der Videoüberwachung angelangt. Vielleicht auch schon früher.
Nach drei schweren Anschlägen in deutschen Nachbarländern ist ein Gewöhnungseffekt da. Auch der Soziologe Andreas Schmitz beobachtet das. Als er nach den Anschlägen von Brüssel in sein Büro an der Uni Bonn kam, war das anders als nach Paris. „Schlimm, das war der Konsens unter Kollegen. Aber der Gesprächsbedarf war nicht mehr so groß.“
Der Angstforscher vergleicht das mit Lebensmittelskandalen, die es auch immer wieder gibt. Man gewöhnt sich an Gefahren. „Diejenigen, die es nicht schaffen, haben ein Problem“, sagt er. Schmitz glaubt nicht an eine kollektive Panik. „Die Bedrohung wird zum Alltag“, sagt er und verweist auf Israel und Südkorea. Ihn interessiert, wer Ängste für seine Zwecke nutzt. „Herrschaft durch Angst“, heißt das bei den Soziologen.
Am Brandenburger Tor in Berlin ist das alles weit weg. Auf den ersten Blick ist es an Deutschlands touristischem Epizentrum wie immer. Der tätowierte Leierkastenmann ist da, die Bauernlobby demonstriert, Japaner hüpfen vor Selfiestangen herum.
Auch viele deutsche Touristen sind dort. Sie haben die Nachrichten im Kopf. Sie sagen „Man kommt natürlich mit einem mulmigen Gefühl“ oder „Man macht sich schon Gedanken, aber das ist ja das Ziel der Terroristen“. Heike Bruckmann (53) ist aus Essen angereist. Sie kommt ursprünglich aus Bonn und fühlt sich an früher erinnert, an die Zeiten des RAF-Terrorismus. „Ich bin damit aufgewachsen, dass Gefahr droht.“
Was nicht nur diese Bonnerin weiß: Das Geschichtskapitel über die „bleierne Zeit“ mit der RAF war irgendwann vorbei. Das Kapitel über den IS-Terror und seine Folgen für Deutschland ist es noch nicht.