Analyse Schröder schickt Schulz in den Kampf

Dortmund (dpa) - Die grau melierten Haare trägt er länger. Hager ist Gerhard Schröder im Alter geworden. Der Beifall für den Hartz-IV-Macher ist warm, aber nicht überschwänglich. Der nach Kohls Tod letzte lebende Altkanzler ist mit einer besonderen Mission zum Parteitag nach Dortmund gekommen.

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Der BVB-Fan soll die Westfalenhalle nicht zum Kochen bringen - was er spielend könnte. Schröder soll erzählen. Von 2005. Von diesem irren Endspurt, als er beinahe noch Angela Merkel abgefangen hätte.

Wie Martin Schulz heute lag Schröder damals drei Monate vor der Wahl mit riesigem Abstand hinter der Union. Doch „Gerd“ bog das Ding fast noch um. „Nichts ist entschieden.“ Und: „Wir haben gekämpft und aufgeholt. Was damals ging, das geht heute auch“, ruft Schröder hinauf zu den Rängen, wo mehr als 4000 Genossen sitzen.

Dazu brauche es aber einen unbedingten Machtwillen. „Martin Schulz will kämpfen um dieses Amt, weil er es will. Das ist richtig so. Nur wer dieses Amt unbedingt will, wird es bekommen.“ All zuviel Pathos schwingt an dieser Stelle beim Altkanzler nicht mit. Schröder wollte Gabriel. Fast wortgleich spornte er vor einem Jahr den damaligen Parteichef an, die Kanzlerkandidatur zu übernehmen.

Gabriel hörte nicht auf Schröder - dafür kann der populäre Außenminister nun lässig im blauen Jackett als Zuschauer die Auftritte von Schröder und Schulz verfolgen. Bevor der Mann aus Würselen um 12.00 Uhr ran darf, verabschiedet sich Mutmacher Schröder mit Verve von den Genossen: „Auf in den Kampf! Venceremos! (Wir werden siegen)“, zitiert er aus der berühmten chilenischen Sozialistenhmyne.

Glaubt Schulz noch daran? Jedenfalls braucht er keine fünf Minuten für den provokantesten Satz seiner 80-minütigen Rede. Nicht nur Schulz, die ganze SPD schiebt Frust, weil Angela Merkel auch in diesem Wahlkampf mit ihrer Masche durchzukommen scheint, sich so wenig wie möglich festzulegen, im Wahlkampf abzutauchen, den Herausforderer mit Nichtachtung zu strafen. 2009 und 2013 klappte das für Merkel prächtig.

Schulz treibt es zur Weißglut. Die Union wolle vorsätzlich die Wahlbeteiligung nach unten drücken, weil das den anderen Parteien schade: „Dann nennt man das in Berliner Kreisen vielleicht asymmetrische Demobilisierung. Ich nenne das einen Anschlag auf die Demokratie.“ Das ist beinhart - und hat eine neue Qualität.

So frontal hat Schulz die Kanzlerin bislang noch nie angegriffen. Der frühere Linksverteidiger weiß, bei einem Rückstand von bis zu 16 Prozentpunkten muss er die Blutgrätsche ansetzen. Er muss polarisieren, muss den Bürgern mit drastischen Bildern zeigen, warum er Merkel ablösen will.

Es ist ein schmaler Grat. Frontalangriffe auf die wieder beliebte Merkel schätzen die Wähler erfahrungsgemäß kaum. Und ist es vielleicht nicht legitim, wenn Merkel die gute Wirtschaftslage mit Rekordbeschäftigung und ihr internationales Standing als Fels in der Brandung gegen Trump, Erdogan und Putin wirken lässt?

Schulz bleibt nur die Flucht nach vorne. Sein Auftritt in Dortmund ist nicht mitreißend, aber solide und kämpferisch. Neben dem Merkel-Bashing fällt nur die rote Linie stärker auf, die Schulz bei der Homo-Ehe zieht. Er unterschreibe keinen Koalitionsvertrag ohne die völlige Gleichstellung Homosexueller. Das soll Stärke demonstrieren - aber beweist es nicht das Gegenteil? Vermutlich wird sich die SPD nach dem 24. September nur als Juniorpartner der Union an der Macht halten können.

Um die „Groko“-müde SPD dann von einer möglichen Neuauflage zu überzeugen, bräuchte Schulz - oder wer, je nach Wahlausgang, auch immer die Partei dann anführt - dafür Symbolthemen wie die Homoehe. Sie ist kein Aufreger mehr. Womöglich ist Merkel bald selbst dafür. FDP, Grüne und Linke sind es bereits. Die drei kleineren Parteien erwähnt Schulz mit keinem Wort. Das übernimmt Schröder, der die „dubiosen Forderungen“ der Linkspartei geißelt. Ein kleiner Gruß an seinen Erzrivalen Oskar Lafontaine.

Ansonsten setzt Schulz der Kanzlerin, die in seinen Augen die „Arroganz der Macht“ auskostet, in Dortmund SPD pur entgegen. Millionen Menschen, die täglich malochten und das Land am Laufen hielten, hätten mehr Respekt verdient: „Ich meine die Menschen, die hart arbeiten und sich an die Regeln halten.“ Das spiegelt sich im Wahlprogramm wider, zu dem es kaum Kontroversen gibt. Erstaunlich geräuschlos hat Schulz, der aus Brüssel keine Truppen mit nach Berlin brachte, die Partei hinter sich versammelt. Das Gemecker um die wieder vertagte Vermögensteuer ist verstummt.

Überhaupt wirkt die SPD so geschlossen wie lange nicht - und das bei Umfragewerten, die langsam wieder in Kellerregionen sind wie zu Gabriels Zeiten. Was hat die Achterbahnfahrt mit Schulz selbst gemacht? Mit dem Hype so etwas wie der nächste Kanzler der Herzen, nun scheinbar auf verlorenem Posten. Die Lehre aus der Katastrophe bei der Nordrhein-Westfalen-Wahl, wo Schwarz-Gelb die Macht übernimmt? „Let Schulz be Schulz“ (Lass Schulz Schulz sein), heißt es im Umfeld des Parteichefs. Der 61-Jährige soll wieder auf seinen Bauch hören - so wie Schröder eben.