Analyse Söder am Ziel, Seehofer auf der Flucht
München (dpa) - Markus Söder ist noch nicht vereidigt, da hält es Horst Seehofer nicht mehr an seinem Platz. Er eilt aus dem Saal, verlässt den Landtag. Fast sieht es aus wie eine Flucht. „Ich muss zu einem Termin“, sagt er im Hinausgehen.
„Einem dringenden Termin.“
Er wünsche Söder „nur das Beste von ganzem Herzen“. Die Vereidigung seines Nachfolgers als Ministerpräsident nur wenige Momente später lässt der 68-Jährige aber sausen, ebenso dessen kurze erste Rede.
„Es ist mir eine Ehre, diesem Land und den Menschen dienen zu können“, sagt Söder, nachdem er sein großes Ziel erreicht hat - und das mit maximalem Rückhalt: Er, der intern nicht nur Freunde hat, hat wohl alle CSU-Stimmen bekommen und bedankt sich für den „großartigen Vertrauensvorschuss“. Seehofer sagt dazu: „Wir hatten 99 Stimmen und Markus Söder hat 99 Stimmen erhalten und damit ist alles klar.“
Trotz aller demonstrativen Geschlossenheit bleibt Seehofer dann allerdings doch keine Minute länger als nötig. Aber immerhin: Er war da. Bis zuletzt hatten viele in der CSU gemutmaßt, dass der neue Bundesinnenminister die Inthronisierung seines ewigen Dauerrivalen versäumen würde.
Im Landtag hatte er sich schließlich seit Monaten nicht mehr blicken lassen, er sieht sich von der CSU-Landtagsfraktion vom Hof gejagt. Nun gibt es das von vielen in der CSU so ersehnte Zeichen der friedlichen Machtübergabe also doch. Für Montag kündigt Seehofer sogar eine offizielle Amtsübergabe in der Staatskanzlei an.
„Jetzt beginnt mit dem heutigen Tag eine neue Ära in Bayern“, sagt der 68-Jährige noch vor Söders Wahl. „Es war eine wunderschöne Zeit, eine spannende Zeit, eine erfolgreiche Zeit. Und jetzt wünsche ich das gleiche dem Markus Söder.“ Der Franke freut sich über Seehofers Kommen: „Finde ich ein gutes Signal auch eines gemeinschaftlichen Übergangs und eines zukünftigen gemeinschaftlichen Miteinanders - er in Berlin an starker, zentraler Stelle, wir hier in Bayern.“
Keine Frage, dieser Freitag markiert nicht nur in Söders Karriere eine Zäsur. Mit dessen Wahl im Landtag will die CSU den endgültigen Schlussstrich ziehen unter einen jahrelang schwelenden und im vergangenen Jahr offen geführten Machtkampf. Denn als Söder am Mittag seinen Amtseid auf die bayerische Verfassung ablegt, ist die neue CSU-Doppelspitze endgültig im Amt: Seehofer, der am Dienstag als Ministerpräsident zurückgetreten war und am Mittwoch als Bundesinnenminister vereidigt wurde - und CSU-Chef bleibt. Und Söder als neuer Ministerpräsident und Spitzenkandidat für die Landtagswahl.
Doch allen öffentlichen Beteuerungen, allen Bildern der Eintracht zum Trotz: Dass Seehofer und Söder keine Freunde mehr werden, ist klar. Dass sie so gut zusammenarbeiten werden, wie sie selber behaupten, ist menschlich fraglich, parteipragmatisch zumindest vorstellbar. Einen „Super-Doppelpass“ zwischen Berlin und München könnten sie spielen, hat Söder gesagt. Viele, nicht nur in der CSU, fragen sich aber: Werden beide wirklich immer auf dasselbe Tor spielen?
„Wir haben beide eine große Verantwortung für dieses Land und für unsere Partei“, sagt Seehofer. „Und deshalb wird das vernunftgeleitet sein. Jeder hat genügend Arbeit.“ Dabei hat er der „Bild“-Zewitung pünktlich zum Freitag ein Interview („Der Islam gehört nicht zu Deutschland“) gegeben, von dem er ahnen konnte, dass er damit die Schlagzeilen bestimmen und Söder nach hinten drängen könnte. Seehofer bestreitet freilich ein gezieltes Manöver. „Was ist das wieder für eine Interpretation?“, fragt er. Auch Söder gibt sich äußerlich gelassen über Seehofers tatsächlich nicht gerade neue Aussage: „Ich freue mich, weil das sage ich seit langer Zeit, und das zeigt auch den guten Doppelpass, den wir an der Stelle spielen können.“
Im Landtag aber steht Söder im Mittelpunkt: Der 51-jährige Franke ist nun der jüngste Ministerpräsident in der Geschichte Bayerns. Er tritt in die Fußstapfen Seehofers, die des glücklosen Günther Beckstein, die seines großen Förderers Edmund Stoiber und die seines Jugendidols Franz Josef Strauß. Er ist endlich am Ziel, auf das er so lange und kontinuierlich, so ehrgeizig und mit allen Mitteln hingearbeitet hat. „Bub, mach das Beste daraus“, hätte seine Mutter wohl zu ihm gesagt.
Doch auch wenn er im CSU-Machtkampf obsiegt hat: Söder weiß, dass die eigentliche Herausforderung erst vor ihm liegt - die Landtagswahl am 14. Oktober. Dort droht der CSU, wie schon 2008, wieder der Verlust der absoluten Mehrheit, sollte Söder im Vergleich zu den jüngsten Umfragen (zuletzt 41 bis 42 Prozent) nicht noch kräftig zulegen.
Söder weiß das und arbeitet. „Machen und Kümmern“ werde sein Leitmotiv, verspricht er nach seiner Wahl. Er feilt an einem neuen Image, Landesvater statt Hardliner, um Zweifler auf seine Seite zu ziehen - bislang hält ihn nur etwa die Hälfte der Bayern für sympathisch. Ein Signal in dem Zusammenhang: Er will die Amtszeit des Ministerpräsidenten, auch seine eigene, auf zehn Jahre begrenzen.
Allerdings: Auch wenn Söder nun auf dem Bayern-Thron sitzt, ist er weiterhin von Seehofer abhängig. Längst lassen sich bei einer Wahl bundes- und landespolitische Aspekte nicht mehr trennen. Deshalb muss Seehofer in Berlin möglichst schnell liefern, will er nicht zwangsläufig die Wahlchancen seines Nachfolgers schmälern. So oder so wird er für das Wahlergebnis ohnehin ein Stück weit mitverantwortlich sein. Für die nächsten sieben Monate sind der Parteichef und der neue Ministerpräsident also auf Gedeih und Verderb aneinander gekettet. Doch wie es nach dem 14. Oktober weitergeht - das weiß heute keiner.