SPD-Versteher Seehofer bringt Schwarz-Rot in die Spur
Berlin (dpa) - Das Friedenssignal draußen auf dem Balkon lässt erahnen, welche Richtung dieser Tag nehmen könnte. Eine Dame der Roten, umringt von lauter schwarzen Unions-Männern. Hannelore Kraft, Sinnbild der SPD-Skepsis gegenüber einer großen Koalition, reicht ihrem CSU-Widersacher Alexander Dobrindt die Hand.
Im Foto festgehalten. Vergeben der Streit in der Sondierung um die Familien- und Finanzpolitik. Beide lachen. Die Chemie scheint nun zu stimmen. Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) fotografiert die Szenerie.
Nur zwei Stunden später steht die Empfehlung der Parteispitzen von CDU, CSU und SPD fest: Es sollen Verhandlungen zur dritten großen Koalition in Deutschland aufgenommen werden. Möglichst schon Mittwoch nächster Woche. „Bis Weihnachten haben wir eine neue Regierung“, verkündet der CSU-Politiker Ramsauer.
„Wir haben gegenseitiges Vertrauen festgestellt“, sagt Dobrindt nach dieser dritten Sondierungsrunde am Donnerstag in Berlin mit einem Lächeln. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe meint sichtlich zufrieden, es sei ein hinreichendes Maß an Gemeinsamkeiten deutlich geworden, „um unser Land vier Jahre erfolgreich und zum Wohle der Menschen regieren zu können“. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) rauscht in ihrer Limousine schnell davon, aber auch sie lächelt.
SPD-Chef Sigmar Gabriel - eine kritische Parteibasis im Nacken - versucht dagegen, so neutral wie möglich dreinzuschauen und sagt: „Sondierungen sind keine Koalitionsverhandlungen.“ Aus Sicht der SPD-Kommission sei es aber sinnvoll, mit der Union zu verhandeln. Er betont, der Beschluss sei einstimmig gefallen - also auch mit der Stimme von Kraft. Ein gutes Signal für den Parteikonvent am Sonntag.
Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer bleibt anders als Merkel noch vor den Mikrofonen stehen. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass das am Ende einen guten Ausgang nehmen wird. Das hat alles eine tragfähige Substanz.“ Auch Hannelore Kraft habe gelächelt, sagt er süffisant.
Dazu, ob sich Union und SPD schon inhaltlich angenähert haben, sagt niemand etwas. Vermutlich soll Rücksicht auf den SPD-Konvent genommen werden. Denn die 200 Delegierten entscheiden über die Aufnahme von Verhandlungen. Und bis Sonntag ist es eine lange Zeit, in der die SPD-Flügel heftig schlagen und Stimmung machen können, wenn Abstriche bei den SPD-Forderungen deutlich geworden wären. So ist es vielleicht von Vorteil, wenn es zwar ein Mindestlohn-Signal der Union gibt, die Details aber noch ausgehandelt werden müssen.
Ausgerechnet der sonst gern querschießende Seehofer war es, der kurz vor dem dritten Treffen via „Süddeutscher Zeitung“ die schwarz-roten Fronten aufgebrochen hatte. Er signalisierte der SPD Entgegenkommen bei ihrem Leuchtturmprojekt Mindestlohn. Zwar stellte er dafür Bedingungen und pochte auf die schon immer von der Union geforderten Ausnahmen, er nahm aber die magischen 8,50 Euro pro Stunde in den Mund. CDU-Vize Volker Bouffier nannte einen Deal Mindestlohn gegen Verzicht auf Steuererhöhungen beim Reingehen in die Parlamentarische Gesellschaft einen „Gedanken mit Charme“.
Das Angebot muss nach Seehofer-Lesart keineswegs bedeuten, dass es überall in Deutschland einen Mindestlohn von 8,50 geben würde. „Wünschenswert wäre immer, differenzieren zu können, entweder nach Regionen oder Branchen“, sagt Seehofer und damit nichts anderes, als CDU und CSU bisher immer gefordert haben. Außerdem dürften keine Arbeitsplätze gefährdet werden. Das predigt Merkel seit Wochen.
Klar ist: Kompromisse sind der Kitt für Koalitionen. Es könnte etwa eine gesetzliche Festlegung auf 8,50 Euro mit Ausnahmen in Ostdeutschland geben, die dann von einer Kommission aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern ausgehandelt werden würden. Für Gabriel war Seehofers Vorstoß ein Geschenk, es macht den Konvent leichter.
Am Ende will die SPD ihre rund 470 000 Mitglieder über einen Koalitionsvertrag abstimmen lassen. Merkel und Seehofer müssen sich auf ein neues Ringen in den Verhandlungen einstellen - und das obwohl der Union nur fünf Sitze zur absoluten Mehrheit fehlen.
Bisher haben die führenden SPD-Politiker öffentlich wenig für eine große Koalition gekämpft - nun sind sie in der Pflicht. Zunehmend setzt sich die Erkenntnis durch, ihr Absturz nach der großen Koalition 2009 in hohem Maße selbst verschuldet zu haben - Stichwort: Verschleiß von drei Vorsitzenden, schlechte Kommunikation der Rente mit 67. Um es dieses Mal besser zu machen, will die SPD klare Erfolge. Zum 150-jährigen Bestehen würde man gerne den Ruf als Partei der sozialen Gerechtigkeit stärken. Eben durch Mindestlohn und gleiches Geld für Leiharbeiter wie für die Stammbelegschaft.
Seehofer gibt sich zum Ende der Sondierungsphase schon mal als großer SPD-Versteher zu erkennen. „Wie die denken, das weiß ich.“ Er gelte in Bayern schließlich als „letzter Sozialdemokrat“.