Stunden der Angst in San Bernardino
San Bernardino (dpa) - Reglos liegt der Körper auf dem Asphalt in einer Blutlache. Mitten in einer Wohnsiedlung im kalifornischen San Bernardino. Daneben: ein Sturmgewehr.
Auf der anderen Straßenseite haben gepanzerte Mannschaftswagen ein von Kugeln durchsiebtes, schwarzes Geländefahrzeug eingeklemmt. Hubschrauber kreisen, die Blaulichter Dutzender Polizeiwagen blitzen.
Die aus dem Helikopter gefilmten Aufnahmen der TV-Sender gleichen auf erschreckende Weise dem Höhepunkt eines Actionfilms. Doch das Drama von San Bernardino ist Realität, die erschreckende Szene am Shedden Drive nur ein Kapitel einer stundenlangen Tragödie in der Stadt mit 215 000 Einwohnern. Kurz zuvor hatte hier laut Polizei ein Ehepaar in einer Behinderteneinrichtung das Feuer eröffnet. Augenzeugen zufolge trugen sie Skimasken und dunkle Kleidung. Bilanz bis dahin: 14 Tote und 21 Verletzte, mindestens zwei davon schweben in Lebensgefahr.
Von einer gezielt geplanten „Mission“ spricht FBI-Ermittler David Bowdich später. Mehr als ein Dutzend Rohrbomben und mehr als 7000 Schuss Munition für Sturmgewehre, langläufige Waffen und Pistolen finden Beamte später an den Körpern, im Fahrzeug und der Wohnung der Täter. Dort und in der Garage hatten sie Hunderte Werkzeuge gehortet, um Sprengkörper zu bauen. Vier an ein ferngesteuertes Auto gekoppelte Rohrbomben findet die Polizei später am Tatort - sie zünden nicht.
Es war womöglich ein Streit bei einer Weihnachtsfeier im Inland Regional Center, der den 28-jährigen Syed Farook zu dem Blutbad bewegte, wie Polizeichef Jarrod Burguan sagt. Seine Kollegen, Angestellte der örtlichen Gesundheitsbehörde, hatten dort einen Raum gemietet. „Es gab irgendeine Art von Streit“, sagt Burguan. Dann soll Farook die Party wütend verlassen haben, bevor ein Gruppenfoto gemacht wird - und kehrt bewaffnet mit seiner 27-jährigen Frau Tashfeen Malik zurück. Beide tragen dunkle Militärkleidung und Skimasken. Die beiden jagen mit ihren Sturmgewehren rund 70 Kugeln in den Raum.
„Alle fielen auf den Boden“, berichtet die 27 Jahre alte Denise Peraza Angehörigen zufolge. „Die Leute eröffneten für 30 Sekunden willkürlich das Feuer und hörten dann auf, um nachzuladen.“ Peraza versteckt sich unter einem Tisch und wird in den Rücken getroffen. Dann wird es ruhig. Angehörige und Freunde bangen stundenlang um die Mitmenschen, die sich drinnen verschanzt haben. Bis die Umgebung geräumt ist, vergeht für die Opfer wohl eine gefühlte Ewigkeit.
Mit erhobenen Händen verlassen Angestellte das Gebäude und werden durchsucht, ein Foto zeigt eine Gruppe Mitarbeiter, die sich unter Bäumen in einem Kreis an den Händen hält und betet. Auch Schulen, Gerichtsgebäude und andere öffentliche Einrichtungen machen dicht.
Retter verarzten die Blutenden. Es ist die schlimmste Tat dieser Art seit dem Amoklauf an der Sandy-Hook-Grundschule in Connecticut mit 26 Toten, darunter 20 Kinder, vor drei Jahren.
Dem verzweifelten Präsidenten Barack Obama bleibt wie immer nach diesen Vorfällen später kaum etwas anderes übrig, als schärfere Waffengesetze zu fordern. „Es ist zu einfach“, sagt er darüber, wie leicht Todesschützen in den USA an Waffen kämen. „Wir als Gesellschaft müssen in uns gehen“, sagt der Präsident im Oval Office des Weißen Hauses. Als Motiv schließt er Terrorismus genauso wenig aus wie einen Streit am Arbeitsplatz.
Bald gerät ein schwarzer Geländewagen ins Visier der Fahnder, durch einen Tipp von einem der Mitarbeiter. Dutzende Polizeiautos rauschen mit Sirenengeheul durch das sonnige San Bernardino, 300 Polizisten sind bald im Einsatz, Kamerateams postieren sich an Straßenecken. Bei der Jagd feuern 23 Polizisten 380 Mal auf die Verfolgten, die schießen zurück, zwei Beamte werden verletzt.
Als der dunkle SUV irgendwann in einer Wohnsiedlung zum Stehen kommt, ist er völlig durchlöchert: Fast alle Fensterscheiben sind zerschossen, die Reifen platt. Als der Kameramann im Hubschrauber eines TV-Senders draufhält, liegt einer der beiden schon in der Blutlache am Straßenrand.
Es muss eine wilde Fahrt gewesen sein. Die Warnblinker blinken, der Scheibenwischer läuft müde auf und ab, im Inneren des Fahrzeug regt sich - zumindest aus der Luft betrachtet - überhaupt nichts. Dutzende Polizisten kauern mit gezogener Waffe hinter der Hecke eines Vorgartens und hinter ihren Dienstwagen, als sich die gepanzerten Fahrzeuge der SWAT-Spezialeinheiten nähern.
Erst mit einer gepanzerten Hebebühne samt Schutzschild traut sich das Spezialkommando an den SUV. Und dann, nachdem die Polizisten mit einem langen Metallhaken vorsichtig die halboffene Autotür aufdrücken, ziehen sie einen Körper von der Rückbank. Plump sackt der Körper unter gezogenen Gewehrläufen auf den trockenen Asphalt.
Weil an der Behinderteneinrichtung Sprengstoff vermutet wird, sind die Beamten auch hier extrem vorsichtig. Erst Stunden nach der Attacke und einer intensiven Suche in Häusern, Autos und Gärten gibt die Polizei Entwarnung. Der getötete Amerikaner, der die Pakistanerin im Internet kennengelernt, erstmals in Saudi-Arabien getroffen hatte und mit ihr in die USA einreiste, übte im Garten gern Schießen, heißt es in einem Profil einer Online-Partnervermittlung, das ihm zugeschrieben wird. Die beiden hinterlassen ein sechs Monate altes Mädchen.